Zwischen den Welten: Von Macht und Ohnmacht im Iran
- Aufbau Verlag
- Erschienen: März 2021
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Faszinierende Einblicke in 42 Jahre iranische Geschichte
Natalie Amiri stammt aus einer iranisch-deutschen Familie. Nach dem Studium der Orientalistik mit Schwerpunkt Iranistik kam sie auf Umwegen 2007 zur ARD, seit 2014 moderiert sie u.a. den Weltspiegel. 2015 übernahm sie die Leitung des Teheran-Büros der ARD, die sie am 1.5.2020 aufgeben musste, weil eine politisch motivierte Geiselnahme befürchtet wurde. Aufgrund ihrer kritischen Berichte wurde mehrmals ihr Presseausweis eingezogen und sie bekam die harten Restriktionen des Regimes selbst zu spüren.
Von der Revolution bis heute
Natalie Amiri geht auf die Zeit zwischen der Revolution mit der Rückkehr Ayatollah Khomeinis 1979 und der heutigen Situation im Iran ein. Ganz besonders liegen ihr die Frauen am Herzen, die allein durch ihr Geschlecht diskriminiert werden und die gegen wesentlich mehr Widerstände als die Männer anzukämpfen haben. Doch von Freiheit ist das ganze Volk weit entfernt und muss sich, zumindest augenscheinlich, den strengen Sittengesetzen beugen –
„Die Islamische Republik hat die Bevölkerung politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich dazu erzogen, den religiösen Schein zu wahren“.
2009 kam mit der Grünen Bewegung die Hoffnung auf tiefgreifende Reformen auf, doch diese Hoffnung wurde im Keim erstickt. Seit dem hat die Revolutionsgarde das Sagen im Land und kontrolliert jeden Bereich des Miteinanders –
„Man kann zu Recht sagen, dass die Revolutionsgarde seit ihrer Gründung ein paralleles System im Staat aufgebaut hat: Militär, Wirtschaft, Politik, Geheimdienst, Kultur.“
Das Atomabkommen ließ wieder die Hoffnung auf Änderungen und eine Politik der Öffnung aufkommen, doch das Abkommen ist so gut wie passé: „Die gemäßigten Politiker im Iran hatten ihre Chance von der Bevölkerung mehrmals erhalten, sie haben sie verspielt. Heute sind die Hardliner am Zug. Sie besetzen das Parlament, die Medien und die Justiz.“
Die Geschichte bekommt ein lebendiges Gesicht
Häufig wissen wir nicht viel vom Iran, ein Land das man zwar bereisen kann, aber dennoch weitgehend unbekannt ist und häufig negativ konnotiert wird. Das politische und gesellschaftliche Geschehen wird oft nur am Rande wahrgenommen –
„Doch dann ging das Interesse der Welt am Iran verloren. Über Nacht, denn Michael Jackson war völlig unerwartet gestorben. Plötzlich will keine Nachrichtensendung mehr etwas von den Demonstrationen im Iran hören, niemand möchte unsere Berichte haben.“
Aber es lohnt sich hinzusehen, denn was im Nahen Osten passiert, hat auch Auswirkungen auf unsere Leben. Durch fundiertes Wissen bringt Amiri den Iran und seine jüngere Geschichte näher, wobei die eingestreuten Anekdoten und eigenen Erfahrungen das Buch zu etwas ganz Persönlichem und dennoch enorm Informativen machen. Amiri hat immer wieder, manchmal für Jahre, in Teheran gelebt, hat Familie und Freunde im Iran und damit Einblick in nicht öffentliche Bereiche. Sie schildert die Parallelwelten der vordergründig strengen Muslime, die im privaten Bereich so ganz anders sein können.
Sie schreibt von Hoffnung und Verzweiflung und verliert dennoch nie ihre Neutralität. Und so ganz nebenbei erfahren die Leser auch noch von den Schwierigkeiten, gerade als Frau, guten Journalismus in einem Land mit restriktiven Einschränkungen zu machen, Informationen trotz strenger Auflagen zu bekommen und dann auch noch einen Bericht abzuliefern, der Hintergründe aufdeckt und dennoch nicht sofort zur Ausweisung aus dem Land führt. Schade ist, dass es weder eine Karte des Iran noch Fotos gibt, die das Ganze visuell ergänzt hätten. Auch wäre eine stichpunktartige Chronologie als Anhang hilfreich gewesen, die einen schnellen Überblick erlaubt hätte.
Fazit
Natalie Amiri vermittelt dem Leser ein umfassendes und schwieriges Thema kurzweilig und dennoch informativ und fesselnd. Sie zeigt den Iran während der letzten 42 Jahre in allen seinen Facetten. „Zwischen den Welten“ ist für Leser mit Interesse an Politik, Geschichte und dem Nahen Osten ein absolutes Muss!
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