Zeitreisen unter Wasser
- wbg Theiss
- Erschienen: Oktober 2021
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Kein Ort bleibt unerforscht
Im schon fortgeschrittenen 21. Jahrhundert haben selbst buchstäblich auf Staub gründende Wissenschaften den Anschluss an die Moderne gefunden. Längst schwingen Archäologen nicht mehr nur Spaten, Kelle und Zeichenstift, sondern nutzen die Möglichkeiten einer Technik, die inzwischen die Möglichkeit bietet, digital die Vergangenheit aufleben zu lassen! Zudem dringen sie suchend dorthin vor, wo ihnen die Natur eigentlich einen Strich durch die Rechnung macht.
Verschwunden sind jene würdig-bärtigen Forscher, die am liebsten unter sich blieben und es hassten, ihr Wissen mit dem unwissenden Pöbel zu teilen. Auch die Wissenschaft ist in jenen ökonomischen Strudel geraten, der sie dorthin zerrt, wo nach ihrem ‚Sinn‘ gefragt wird. Will sich dieser nicht in wenigen Worten erklären lassen, soll die Forschung wenigstens ihren Unterhaltungswert unter Beweis stellen. Der hier vorgestellte Band ist dafür ein ausgezeichnetes Beispiel - für die gerade geäußerte These, aber auch als Beleg für eine Wissenschaft, die zwar die Vergangenheit erforscht, aber ganz im Hier und Jetzt arbeitet.
Lange ist bekannt, dass der Mensch auch unter Wasser seine Spuren hinterlassen hat. Schon seit Jahrtausenden kreuzt er Flüsse, Seen und natürlich Meere mit Schiffen und Lastkähnen, die den Zielhafen oft nicht erreichten, weil sie in den Wogen versanken. Sie verwandelten sich in Zeitkapseln, die in ihrem Inneren bewahren, was einst alltäglich zum Einsatz kam oder transportiert wurde. Ebenso fundträchtig sind Siedlungen bzw. ganze Kulturlandschaften, die vor Jahrtausenden an Ufern oder auf Inseln gegründet wurden, aber irgendwann ebenfalls im Wasser verschwanden.
Dort waren sie nicht nur vor der (Neu-) Gier der Nachfahren, sondern auch vor dem Verfall geschützt. Vor allem wasserdurchtränkter Sand oder Schlick konserviert, weil er den korrosionstreibenden Sauerstoff fernhält. Es dauerte aber, bis die Technik eine systematische Suche, Untersuchung und Bergung ermöglichte. Die Unterwasser-Archäologie nahm erst in den 1980er Jahren ihren Aufschwung, als es möglich wurde, sich einigermaßen sicher unter Wasser zu tummeln.
Deutschlands erstarrte Vergangenheit
Florian Huber gehört zu denen, die den Nutzen der Sauerstoffflasche auf der Suche nach der Vergangenheit erkannt haben. Man kann ihn und seine Mitarbeiter anheuern, wenn es gilt, unter Wasser nach historischen Schätzen zu fahnden. Damit sind ausdrücklich keine Goldmünzen oder Juwelen gemeint. Der Unterwasser-Archäologie geht es primär darum, das Alltagsleben von Menschen zu rekonstruieren, die quasi spurlos der Geschichte verlorengegangen sind, weil es auf dem Land keine Spuren von ihnen oder schriftliche Quellen über sie gibt.
Folgerichtig sind es profane Gegenstände, die aus dem Wasser geholt werden. Dazu gehören Steinwerkzeuge, Keramikgefäße oder Metallwaffen. Doch Wasser und Schlamm können auch Stoffe bewahren, die an Land längst zerfallen sind. Holz ist an erster Stelle zu nennen. Auf dem Grund der Ost- und Nordsee, aber auch in Flüssen, Seen und Mooren stößt man auf Boote und Schiffe, die zum Teil perfekt erhalten sind. Sie werden zu Zeitzeugen, auf die man nicht verzichten kann, um das Bild der Vergangenheit zu vervollständigen, statt sich auf Schlaglichter zu beschränken. Technik, Handwerk, Handel, Verkehr: Erst in der Gesamtheit entfalten Fakten ihren wahren Informationswert.
Huber spannt diesen Bogen weiter als vielleicht erwartet. Die Funde reichen einerseits bis in die Steinzeit zurück. Andererseits erfasst die Unterwasser-Historie längst auch die unmittelbare Vergangenheit: Vor allem Ost- und Nordsee waren bis in die 1940er Jahre immer wieder Kriegsschauplätze. Obwohl der Zweite Weltkrieg noch kein Jahrhundert zurückliegt, gibt es durchaus Forschungslücken, die womöglich aufgrund von Meeresgrundfunden gefüllt werden können. U-Boote, Flugzeuge und Nazi-Geheimwaffen, aber auch ‚zivile‘ Wracks geben dank der Untersuchung mit modernster, heute meist digitaler Technik lange gehegte Geheimnisse preis.
Wer sucht, der findet
Deutschland bietet unter Wasser mehr als genug vielversprechende Fundstätten. Herausgeber Huber bzw. die für diesen Band schreibenden Autoren decken mit 28 Beiträgen die gesamte Palette ab. Die Reise beginnt im Watt der Ost- und Nordsee, wo versunkene Siedlungen, Wikingerschiffe und mittelalterliche Koggen, Kriegsschiffe und abgestürzte Kampfflugzeuge auf ihre Entdecker warten, sie führt weiter in die niedersächsischen Moore mit ihren Heiligtümern, Opferstätten und Moorleichen, auf den Grund des legendären Blautopfs, in überflutete Höhlen, Bergwerke und Eisenbahntunnel oder zu römischen Brücken. Der Überblick endet im Bodensee mit seinen faszinierenden Pfahlbausiedlungen.
Über die Kärrnerarbeit hinaus, die im geduldigen Sammeln von Scherben, Holzsplittern und Metallfragmenten besteht, stellen die Autoren immer wieder Highlights vor, die auch dem Laien die Wichtigkeit dieser Forschungen vermitteln. Hilfreich ist die verständliche Präsentation der komplizierten Techniken, die mit dem Auge nicht Sichtbares in spektakuläre Erkenntnisse verwandeln. Die Schwierigkeiten einer Forschung, die sich in einem für Menschen lebensfeindlichen Umfeld abspielt, sind ebenfalls von Interesse.
Die Texte richten sich an den erwähnten Laien; sie lassen sich also ohne wissenschaftliche Vorbildung verstehen. Doch zum Lektüre-Erlebnis wird dieses Buch als Einheit von Text und Bild: Auf hochwertigem Papier kommen die zahlreichen Fotografien, Karten und Zeichnungen exzellent zur Geltung! Hier rechtfertigt der Band seinen Anschaffungspreis, denn im Format 31 x 25 cm und unterstützt durch ein klares Layout lassen sich auch Details problemlos erkennen.
Fazit
Überblicksmäßige Bestandsaufnahme der Unterwasser-Archäologie in Deutschland. In Text und Bild wird anschaulich gemacht, wie die unter schwierigen Verhältnissen gewonnenen Erkenntnisse sich in das historische Gesamtbild einpassen und Funde ergänzen, die aus trockener Erde gegraben oder in alten Schriftquellen entdeckt wurden: ein ebenso spannendes wie prächtiges Sachbuch!
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