Blick auf waagrecht gestaltete Weltgeschichte.
Es gilt (gleichauf mit der Toilettenschüssel) als wichtigstes Einrichtungsstück in Haus und Wohnung, obwohl es (meist, aber nicht immer) simpel konstruiert und in der Regel unscheinbar ist. Doch da wir (wenn man uns lässt) ein Drittel des Tages dort verbringen, überrascht seine Rolle in der Menschheitsgeschichte nicht: Das Bett ist ein integrales Element unseres Lebens. Selbst wenn wir dort ‚nur‘ schlafen, sorgt es für einen Aufenthaltsort, der uns die Möglichkeit zur notwendigen Regeneration nach einem harten Tag gibt.
Wann genau das Bett in unser Alltagsleben trat, kann nur geschätzt werden. Weil es meist aus Holz und ähnlich flüchtigen Materialien bestand, hat es sich in Luft aufgelöst, je weiter wir in die Vergangenheit zurückschauen. Allerdings waren einige Vorfahren auf ihre Weise nachhaltig: In einigen Höhlen fand man Bettgruben, die in den Boden eingetieft waren. Auf 70000 Jahre schätzt man das Alter dieser ‚Möbel‘. Im Laufe der folgenden Jahrzehntausende erhob sich das Bett über den Boden und bekam Füße; allerdings nicht überall: Weiterhin ziehen es viele Menschen vor, (natürlich abgepolstert sowie vor Kälte und ungebetenen vier- bis achtbeinigen Hausgästen geschützt) auf dem Boden zu schlafen.
Geht man den Wurzeln des Wortes „Bett“ auf den Grund, landet man übrigens weit in der Vorzeit: Forscher fanden heraus, dass es eine in die Erde gegrabene Fläche bezeichnet, die man für einen Nachtschlaf nutzte, seit unsere Ahnen sich in der Abenddämmerung nicht mehr in die Wipfel hoher Bäume flüchteten und dort Nester bauten. Der Kreis schloss sich, denn das Leben war hart und kurz, weshalb solche Bettgruben rasch zu Gräbern umfunktioniert werden konnten ...
Bekanntlich ist das Bett auch der Ort, welcher der zweiten nächtlichen Aktivität des Menschen eine Heimat bot: Hier wurde vergnüglich gemeinsam bzw. miteinander geschlafen und für Nachwuchs gesorgt. Dass man sich hier auch verkriechen konnte, um kalte Winterphasen zu verdösen, war im Vergleich dazu beinahe von sekundärer Bedeutung. Jedenfalls wird problemlos verständlich, dass das Bett in der Sozialgeschichte zu allen Zeiten eine enorme Rolle spielte, weshalb es eine ‚Biografie‘ mehr als verdient!
Horizontale Allgegenwärtigkeit
Die widmet ihm das Autorenduo Nadja Durrani und Brian Fagan, die als Archäologen und Anthropologen die Welt- und Kulturgeschichte auf einschlägige Informationen überprüft haben. Von der Fülle historischer Funde, Bilder und Texte wurden sie förmlich überrollt: Das Bett mag sich in seinen ersten Jahrzehntausenden überlieferungstechnisch rar gemacht haben, doch sobald die Quellen sprudelten, spülten sie es an die Oberfläche - überall auf dieser Welt! Deshalb mussten die Verfasser Mut zur Lücke aufbringen und sich einen Pfad durch den Datenwust schlagen, um diesen wenigstens oberflächlich so zu ordnen, dass sich daraus ein Buchwerk von 270 Druckseiten destillieren ließ.
Herausforderung bewältigt, darf man sicherlich sagen. Obwohl „Was im Bett geschah“ keine sämtliche Aspekte des Themas umfassende Darstellung, sondern ein Sachbuch werden sollte, das gleichermaßen informiert wie unterhält - eine Domäne, in der die Briten nach wie vor die Nasen vorn haben -, ist man beeindruckt, in welche Bettritzen-Tiefen die Autoren vorgedrungen sind. Trockener Ernst ist keineswegs die Voraussetzung für Thementiefe und Faktenpräsenz. Wer wie Durrani & Fagan weiß, wie man es macht, kann auch einem rechteckigen Möbelstück buchstäblich Leben einhauchen! Schließlich waren es Menschen, die sich zu allen Zeiten betteten und dies so genossen, dass buchstäblich historische Entscheidungen in der Horizontalen gefällt wurden - ein fruchtbares Feld, auf dem die Autoren dankbar ernten!
Sie erinnern uns daran, dass das Bett nicht nur zum Schlafen, Ausruhen und für den Sex erfunden wurde. Von der Wiege bis zur Bahre begleitet es uns; dies aber nicht so selbstverständlich, wie wir glauben: Noch gar nicht so lange legen sich beispielsweise Frauen in ein Bett, um Kinder zu gebären, und womöglich ist dies nicht die von der Natur geplante Optimallage. Doch so hat es sich eingebürgert, was Durrani & Fagan eine weitere Gelegenheit bietet, uns über den schier endlosen soziologischen, ökonomischen und kulturellen Rattenschwanz zu informieren, der scheinbar banalen Verhaltensänderungen folgen kann.
Das gilt auch für das Ende des Lebens, das keineswegs seit jeher im Bett ausgehaucht wird. Tatsächlich ist die Horizontal-Evolution in diesem Punkt bereits einen Schritt weiter: Wenn wir heute sterben, dann in der Regel nicht im eigenen Bett, sondern möglichst hinter den geschlossenen Türen eines Krankenhauses oder Hospizes, um unsere Familienmitglieder und Mitmenschen nicht mit einem Tod zu erschrecken, der sich ungeachtet aller herausposaunten Fortschritte einfach nicht bändigen oder wenigstens beschönigen lässt - auch dahinter steckt eine detailreiche Historie, mit uns die Autoren bekannt machen.
Schier endlose Möglichkeiten auf nur vier Beinen
Obwohl die Grundform einfach ist, hat der Mensch natürlich viel (Handwerks-) Kunst in seine Lagerstätten investiert. Wie eigentlich alles, was er erfand, wurde auch das Bett zum Statussymbol. Je höher der Schläfer in der Hierarchie stand, desto größer und prunkvoller wurde sein Bett: Es repräsentierte quasi seinen Besitzer und wurde deshalb auch nicht verborgen, sondern stolz gezeigt, um Besucher zu beeindrucken.
Wer etwas zu sagen hatte, blieb oft im Bett, um seine Botschaften zu verkünden. Zeitweilig galt es sogar als große Ehre, als Gast zum Zusteigen eingeladen zu werden: Die Bett-Geschichte ist wahrlich facettenreich! Manches Prachtbett kostete so viel Geld wie ein Wohnhaus - und war nicht immer bequem, zumal die Herrscher des Mittelalters und der frühen Neuzeit keineswegs allein zu Bett gingen, schliefen oder aufstanden: Am Bett Ludwigs des IV. standen morgens bis zu 100 Personen!
Durrani & Fagan folgen dem Bett durch die Jahrtausende. Es ging auf Reisen, wurde parallel zum technischen Fortschritt in Schiffe, Eisenbahnen, Automobile, Flugzeuge, Luftschiffe und schließlich Raumfähren eingebaut. Dafür tüftelte man spezielle Modelle aus, hinter denen viel Grips und Schweiß standen. Selbstverständlich widmen sich die Autoren auch dem Bett in Gasthäusern und Hotels, was Raum für wahre Gruselgeschichten über x-fach besetzte Lager, Schmutz und Krankheiten bietet sowie zu den ungebetenen Bettgästen überleitet, die uns seit Jahrzehntausenden treu begleiten: Flöhe und vor allem Läuse und Wanzen. Sie haben den ewigen Kampf erfolgreich aufgenommen und trotzen bis heute sämtlichen Giften, die auch ihren Wirt umbringen würden.
Um die Zukunft des Bettes haben sich Durrani & Fagan viele interessante Gedanken gemacht sowie faszinierende oder einfach interessante Fakten ermittelt. Einerseits ist es formal und funktionell ausentwickelt, andererseits gibt der Menschengeist keine Ruhe. Längst ist es möglich, magnetisch in der Schwebe gehaltene, also beinlose Betten zu bauen. Dass dies eine evolutionäre Sackgasse sein könnte, wird von den Befürwortern hartnäckig geleugnet, obwohl sogar das Wasserbett, einst berühmt und berüchtigt, zu einem Nischenprodukt herabgesunken ist. Das Bett ist einfach zu wichtig sowie ein Produkt, mit dem zuverlässig Milliardenumsätze erzielt werden, obwohl es heutzutage meist in einem der Öffentlichkeit vorenthaltenen Schlafzimmer steht. Statt wie von Winston Churchill als Stätte seiner Anti-Hitler-Strategien genutzt oder von John & Yoko als Ort des Friedens verklärt zu werden, wird es uns trügerisch unscheinbar, aber allgegenwärtig in die Zukunft begleiten!
Fazit
Das Bett war und ist mehr als ein Möbelstück, in dem wir schlafen. Es gehört zum Inventar der Menschheitsgeschichte, hat seit Jahrzehntausenden seinen festen Platz im Leben und unterliegt einer ständigen funktionalen und formalen Evolution. Die Autoren dieses hochinteressanten Sachbuchs folgen dem Bettzipfel überall dorthin, wo er seine Spuren hinterlassen hat und weiterhin wird.

Brian Fagan, Nadia Durrani, Reclam
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