Die Faszination lebendiger Schätze.
Was ist von einem Buch über Tiere (und Menschen) zu halten, das nicht von einer Naturwissenschaftlerin, sondern von einer Dozentin für Englische Literatur und profilierten Autorin von Kinderbüchern geschrieben wurde? Sehr viel, wie sich rasch herausstellt, denn Katherine Rundell will gar nicht auf spezielle Fragen der Biologie oder Ethologie eingehen, sondern uns 22 Tiere (einschließlich des Menschen) vorstellen und die Faszination ihrer Existenz vor Augen führen, um anschließend eindringlich darauf hinzuweisen, dass sie - einschließlich des Menschen! - in Gefahr sind zu verschwinden.
Wer denkt schon daran (oder mag daran denken), dass menschliches Wirken (sowie der ebenfalls menschlich befeuerte Klimawandel) selbst solchen für ‚selbstverständlich‘ anwesend gehaltenen Tieren wie dem Igel, dem Storch oder dem Hasen den Garaus zu machen droht? Die diesbezüglichen Fakten sind erschreckend deutlich und einfach zu recherchieren, weshalb man Rundells Ausführungen Glauben schenkt bzw. schenken muss.
Ihre Beiträge sind einerseits (literatur-) historisch und andererseits autobiografisch geprägt. Rundell ist in Afrika geboren und hat dort ihre Kindheit verbracht, was die Auswahl der in diesem Buch auftretenden Tiere (Elefant, Giraffe, Pangolin, Goldmull) beeinflusst hat. Heute lebt und arbeitet sie in England, weshalb Hase, Spinne oder Fledermaus hinzukommen, und engagiert sich stark für den Schutz der Weltmeere, die u. a. durch Narwal, Robbe oder Grönlandhai repräsentiert werden.
Begleiter und Opfer des Menschen
Rundell beginnt ihre kurzen, aber prägnanten Texte jeweils mit einer interessanten Anekdote, die gleichzeitig darauf hinweist, dass ‚ihre‘ Tiere und der Mensch eine gemeinsame Historie haben, die oft erstaunlich weit zurückreicht. Selbstverständlich hat sich der Mensch mit den Geschöpfen in seiner Umgebung beschäftigt - und sei es nur, um sie als schmackhaft, schädlich oder gefährlich zu klassifizieren. Nur wenige (neugierige) Menschen haben die Rolle des Tiers in seiner Umwelt berücksichtigt. Heute ist die Forschung deutlich kopfstärker und intensiver geworden.
Der weiter oben genannte Dreiklang hat sich leider erhalten und sogar verstärkt. Die Ausbeutung der Natur wurde der modernen Gegenwart angepasst. Rundell schildert, wie die Weltmeere dank ausgeklügelter Fangmethoden ‚leergeräumt‘ werden, hungrige Bewohner der übervölkerten Insel Madagaskar die letzten, einst als heilig geachteten Lemuren jagen und selbst weitgehend unbeachtet bleibende Kreaturen wie der Goldmull oder der Wombat in Gefahr geraten, weil ihre Lebensräume sich verändern und verschwinden.
Daraus entwickelt Rundell eine ‚parallele‘ Geschichte des allmählichen Untergangs - dies jedoch ohne erhobenen Zeigefinger, sondern wehmütig und in bewusster Erinnerung an die gleichzeitige Vielfalt und Einzigartigkeit der Wesen, die womöglich schon bis zur Mitte dieses Jahrhunderts verschwunden sein werden. Dabei ist es der Autorin gleichgültig, ob ein Tier ‚niedlich‘ oder ‚elegant‘ ist. Der Grönlandhai, die Spinne oder der Einsiedlerkrebs sind nicht ‚liebenswert‘. Daraus leitet Rundell ausdrücklich keine Wertung ab. Ihr gelingt es deutlich zu machen, dass die Existenz einer Art ihr Leben begründet und es garantieren sollte.
Realität schlägt Mythos
Viele ‚gute‘ und noch mehr ‚böse‘ Eigenschaften wurden und werden Tieren nachgesagt. Rundell greift historische Fehleinschätzungen oder Mythen heraus. Abenteuerliche Merkwürdigkeiten reizen heute zum Lachen, wurden aber durchaus für wahr oder möglich gehalten. Die Autorin stellt dem reale Fakten gegenüber, die diese sagenhaften Geschichten in den Schatten stellen. Durch das Meer streifen Haie, die nachweislich schon alt waren, als William Shakespeare seine Dramen schrieb, und wohl noch lange ihre Bahnen ziehen werden, wenn man sie lässt. Scheinbar simple Spinnenseide ist stärker als Stahl und überfordert den Menschen, der sie weiterhin erfolglos künstlich herzustellen versucht. Elefanten kommunizieren miteinander durch unhörbare Infraschallwellen über hunderte Kilometer.
Solche kaum glaublichen, aber wie gesagt realen - ein Anmerkungsapparat nennt Rundells Quellen - Fakten schüttet die Autorin wie ein Wunderhorn über uns aus. Dass sie eine gewandte Autorin ist, spiegelt sich in ihrer Sprache (und einer ausgezeichneten Übersetzung) wider. Rundell schreibt scheinbar einfach, tatsächlich aber deutlich und verständlich. Dies ist ein zusätzliches Hilfsmittel in dem Bemühen, ihren Lesern das Thema dieses Werkes deutlich zu machen.
Beinahe paradox klingt es zunächst, dass die nüchtern wirkende Ausstattung des Buches dies unterstreicht. Die vorgestellten Tiere tauchen nicht in Fotografien auf. Stattdessen hat die Künstlerin Talya Baldwin sie fein und schwarzweiß mit Wasserfarbe zum Leben erweckt. Dies passt zum Tenor dieses Buches, das informieren und warnen will. Einen Lichtblick immerhin gönnt uns die Autorin, die nicht grundlos den Menschen in die Liste ihrer ‚Tiere‘ aufnimmt: Noch ist es nicht zu spät, noch kann die ökologische Apokalypse verhindert werden. Rundell setzt auf Einsicht. Dies mag naiv klingen, doch wer darf darüber ein Urteil fällen, solange lautstarke und handfeste Proteste keine echte Alternative bieten?
Fazit
Kein biologisches Fachbuch, sondern ein Plädoyer für die Existenzberechtigung jedes Lebens und seiner Zerbrechlichkeit auf einer verwüsteten und ausgebeuteten Welt, vorgetragen am Beispiel 22 ausgewählter Tierarten, schön geschrieben und illustriert, interessant und ohne erhobenen Zeigefinger, sondern faktenorientiert mahnend.
Deine Meinung zu »Warum die Giraffe nicht in Ohnmacht fällt: und andere Kuriositäten aus dem Tierreich«
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