Wächter der See

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Michael Drewniok
8101

Sachbuch-Couch Rezension vonSep 2020

Wissen

Grundsätzlich ist dies ein Werk, das sämtlichen Sachbuch-Erfordernissen genügt: Der Text ist zwar knapp, erfüllt aber seinen Zweck als Überblick, weil der Autor faktendicht auf den Punkt kommt, unterhaltsam zu schreiben versteht und dies auch in der Übersetzung gewahrt bleibt.

Ausstattung

Viele oft farbige Konstruktionszeichnungen, Gemälde und Fotos ergänzen den Text vorzüglich. Negativ anzumerken ist der zu geringe Schriftgrad vor allem der Bildtexte und die auf Kosten der Deutlichkeit gehende Verkleinerung der Abbildungen.

Monumente einer turbulenten Vergangenheit

Nachdem sich der Mensch vor Jahrtausenden auf das offene Meer hinausgewagt hatte, musste er feststellen, dass nach riskanter Reise ausgerechnet die Rückkehr ans rettende Ufer zum lebensgefährlichen Problem werden konnte: Knapp unter der Oberfläche und außer Sicht lauerten Klippen, Sandbänke u. a. Hindernisse, die einem Schiff und seiner Besatzung nicht nur in dunkler Nacht oder bei Sturm den Garaus machen konnten. Die Lösung war prinzipiell simpel: Man musste Warnlichter dort aufstellen, wo solche Gefahren drohten! Allerdings sorgte die Umsetzung für Kopfzerbrechen, denn mit einem Feuerchen war nicht getan: Das Licht musste weit auf die See hinausleuchten!

Wie man dies über viele Jahre und oft nach dem Prinzip „Versuch & Irrtum“ in die Tat umsetzte, ist Thema des hier vorgestellten Buches. Autor Reginald Grant setzt uns in vier Kapiteln, denen ein Prolog voran- und ein Epilog nachgestellt wird, über die Geschichte des Leuchtturmbaus und -betriebs in Kenntnis. Der Prolog („Der Bau des Eddystone-Turms“) wird dabei zum ‚einstimmenden Vorgriff‘. Grant versetzt uns direkt in die Frühzeit jener Phase, die man die „goldene Ära“ des Leuchtturms nennt. Sie begann etwa 1750 und währte bis 1920. Der Eddystone-Turm, zu errichten an einer besonders tückischen Stelle vor der Küste von Cornwall, gehörte zu den besonders harten Nüssen, die Konstrukteure, Bauherren und Arbeiter knacken mussten. Seine mehrfache Zerstörung durch die wütende See macht ihn in dieser Hinsicht zu einem besonders brauchbaren Beispiel.

Die Geschichte der Leuchttürme beginnt früh

Mit Kapitel 1 („Wunder der Technik“) erinnert Grant an die Leuchtturm-‚Vorgeschichte‘ und schildert, wie Warnfeuer möglichst nahe an die Gefahrenstelle und in die Höhe gerückt wurden, um ihren Schein zu unterstützen. Es lief auf Leucht-Türme hinaus, die schon in vorchristlicher Zeit beachtliche Höhen erreichen konnten; der Pharos von Alexandria zählte mit seinen 140 Metern zu den sieben Weltwundern der Antike. Römische Leuchttürme säumten später die Küsten der eroberten Länder, und selbst das „dunkle“ Mittelalter blieb nicht leuchtfeuerfrei.

Mit Kapitel 2 („Im Kampf mit den Elementen“) kehrt Grant in die „goldene Ära“ zurück, weitet aber nun das Blickfeld über den Eddystone-Turm hinaus auf die ganze Welt. Der moderne Leuchtturm wurde in England und Frankreich entwickelt, wobei sich andere europäische und später außereuropäische Länder (vor allem die USA) mit ausgedehnten Meeresküsten anschlossen, um die Evolution des Leuchtturms mit eigenen Entwicklungen voranzutreiben.

Im ‚Kopf‘ jedes Turms leuchtete „Ein Licht in der Dunkelheit“, wie Grant sein Kapitel 3 überschreibt. Aus einfachen Holz- und Kohlefeuern wurden mit Tran, Öl und später Kerosin befeuerte, zunehmend ausgeklügelte Apparaturen, die das ausgestrahlte Licht über ein komplexes System von Spiegeln und Reflektoren verstärkten. Die Elektrizität sorgte für die Perfektionierung des Konzeptes, läutete aber - s. u. - auch das Ende des klassischen Leuchtturms ein.

„Die Hüter des Lichts“ stellt uns Grant in Kapitel 4 vor. Es waren harte Männer (und einige Frauen), die es übernahmen, besagtes Licht in jeder Nacht leuchten zu lassen. Grant beschreibt den Arbeits- und Lebensalltag, der dort, wo der Turm buchstäblich im Wasser stand, oft ortsidentisch war. Einsamkeit, Angst, Krankheit, Vorratsmangel: Es gab keine Entschuldigung für ein Versagen, und tatsächlich ließen viele Leuchtturmwärter ihr Leben im Dienst.

Der Epilog geht auf „Das Ende einer Ära“ ein. Die Leuchten wurden immer besser und zuverlässiger; man musste sie im fortschreitenden 20. Jahrhundert nicht mehr rund um die Uhr warten sowie ein- und ausschalten. Hinzu kamen weitere Neuerungen: Funk und Radar, die ihrerseits durch Satellitenblicke aus dem erdnahen Orbit unterstützt werden, weisen heute deutlicher denn je auf Gefahrenstellen hin. Wo Leuchttürme noch in Dienst sind, bleiben sie unbemannt. Allerdings haben sie im Laufe von Jahrhunderten eine geradezu mystische Aufwertung erfahren. Landratten lieben sie, weshalb viele aufgegebene Leuchttürme erhalten und touristisch genutzt werden.

Nostalgische Reise in die Vergangenheit

Grundsätzlich ist dies ein Werk, das sämtlichen Sachbuch-Erfordernissen genügt: Der Text ist zwar knapp, erfüllt aber seinen Zweck als Überblick, weil der Autor faktendicht auf den Punkt kommt, unterhaltsam zu schreiben versteht und dies auch in der Übersetzung gewahrt bleibt. R. G. Grant ist Historiker und Fachmann, hat aber begriffen, dass Wissen für eine allgemeinverständliche Vermittlung ausgewählt und präsentiert werden muss.

Neben den Text treten gleichwertig die Bilder. In den Archiven dieser Welt schlummern akribisch gezeichnete Darstellungen, die Leuchttürme von außen und innen samt Inventar dokumentieren. Hinzu kommen Bilder, die oft in der Anfangszeit der Fotografie entstanden, weil die Pioniere dieses Handwerks um die Bedeutung des Motivs wussten und deshalb die Strapazen auf sich nahmen, mit einer sperrigen, empfindlichen Apparatur bei Wind und Wetter einen Turm „auf die Platte“ zu bannen.

Vor allem die Zeichnungen (und Gemälde) waren oft farbig ausgeführt, was für dieses Buch übernommen wurde. Es ist ein Hochformat, was Sinn ergibt, weil es um Türme geht. Das Papier ist dick, sodass feine Details im Druck sichtbar bleiben. Von der ‚Gegenseite‘ schimmert nichts durch. Das Layout ist komplex und geht über bloße Informationsvermittlung hinaus. „Wächter der See“ kann und soll auch als Exempel für heute noch hochwertiges Buchhandwerk dienen.

Liebeserklärung für Sehstarke

Allerdings wurde in dieser Hinsicht zu viel des Gutgemeinten getan. Das Konzept würde wahrscheinlich aufgehen, hätte man für „Wächter der See“ ein größeres Format gewählt. Eine Nachprüfung ergab, dass auch die Originalausgabe nur 30 (Höhe) x 20 (Breite) cm misst. Das ist definitiv zu wenig, selbst die Augen junger Leser werden über das zu tolerierende Maß gefordert. Schon der Haupttext ist winzig, lässt sich aber aufgrund der Druckschärfe auf weißem Hintergrund entziffern. Problematisch sind die Bildbeschreibungen, die zudem gern hell vor dunklem Hintergrund wiedergegeben werden. Hier stößt der Druck an seine Grenzen.

Optisch ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen werden die Bilder. Im Haupttext sind sie dem Layout allzu untergeordnet und weisen nur besseres Briefmarkenformat auf. Im Bildteil werden mehrheitlich Leuchttürme in ganzer Höhe gezeigt, weshalb in der Verkleinerung interessante Details verschwimmen und verschwinden. Hier hätte man die Klasse über die Masse stellen und weniger Bilder großformatiger wiedergeben sollen.

Diese Klage klingt freilich vor allem deshalb so lautstark, weil sie den Genuss eines Buches schmälert, das ansonsten informiert, unterhält und zum Träumen einlädt: Leuchttürme haben ihre Nische im kollektiven Gedächtnis der Menschen gefunden, und wieso dies so ist, vermag uns R. G. Grant sehr deutlich zu machen!

Fazit:

Kurz und knapp, dabei informativ und unterhaltsam informiert der Text über die Geschichte des Leuchtturms, wobei der ‚Faktor Mensch‘ nicht zu kurz kommt. Viele oft farbige Konstruktionszeichnungen, Gemälde und Fotos ergänzen den Text vorzüglich. Negativ anzumerken ist der zu geringe Schriftgrad vor allem der Bildtexte und die auf Kosten der Deutlichkeit gehende Verkleinerung der Abbildungen.

Wächter der See

R. G. Grant, Dumont

Wächter der See

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