Wissenschaftsjournalismus par excellence!
"Nicht einmal die eng damit verbundene Klimakrise bedroht uns so sehr in unserer Existenz – sie gefährdet zwar die Art, wie wir leben, aber nicht, ob wir leben."
Dirk Steffens und Fritz Habekuß, beide renommierte und honorierte Wissenschaftsjournalisten, machen auf ein Thema aufmerksam, das im Schatten der Corona-Krise und des Klimawandels steht und daher viel zu wenig Beachtung bekommt: Es geht um das dramatische Artensterben, eine Katastrophe, die sich seit Jahrzehnten anbahnt, in der Politik weitgehend ignoriert und in der Öffentlichkeit als unwichtig erachtet wird. Doch sie ist real, global gestreut und betrifft uns alle.
Natürlich ist es auch das Thema, das mich sehnsüchtig auf das Buch hat warten lassen. Doch auch mein kleines Fanherz als Bewunderer von Dirk Steffens Wirken und Bedeutung für die Wissenschaftswelt hat eine große Rolle gespielt. Umso überraschter war ich, wie gut die beiden Autoren zusammengearbeitet und ein in sich stimmiges Werk fertiggebracht haben.
"So viel steht fest: Wir müssen uns an sie anpassen, nicht umgekehrt. Die Natur verhandelt nicht. Sie gewährt keinen Aufschub, keine Gnade, keinen Deal."
Man kann das Buch nur als schonungslos erachten. Denn Steffens und Habekuß nehmen keine Rücksicht, beschönigen die gegenwärtige Krise nicht. Dabei ist der bequeme Mensch nicht die allerbeste Zielgruppe: Lieber verschließen wir Augen und Ohren vor der Wahrheit, als dass wir uns mit der gegenwärtigen Problematik auseinandersetzen. Doch Über Leben bietet einen so fulminanten Aha-Moment, dass man einfach dazu greifen muss.
Stück für Stück, Kapitel für Kapitel legen die Autoren offen, worin die gegenwärtige Krise besteht, warum die Artenvielfalt für uns so essenziell ist, welche Rolle Politik und Gesellschaft spielen und welchen dramatischen Weg wir gerade dabei sind, einzuschlagen. Besonders faszinierend ist die gegenwärtige Naturschutzbewegung auf rechtlicher Ebene: Wie wäre es, wenn Flüsse, Wälder oder Bäume als juristische Person eingestuft werden könnten? Wenn es dem Mississippi etwa möglich wäre, zu klagen gegen Verschmutzung, Bebauung, etc.? Die Möglichkeiten würden neue Perspektiven eröffnen.
"Ökozid, die großskalige Vernichtung von Biodiversität, ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, und als solches sollte es behandelt werden. Wird es aber nicht."
Passend zu den einzelnen Kapiteln finden sich in der Buchmitte einprägsame Grafiken. Der Leser hat mit einem Blick vor Augen, wie ernst die Lage ist: 25% aller Säugetiere sind bedroht, 34% aller Nadelbäume, 41% aller Amphibien; der Tropenwaldverlust, die Umwandlung von Land zu Äckern und Weiden, der Fischfang im Meer, das Kohlendioxid in der Atmosphäre – die Liste kann beliebig fortgeführt werden – nehmen zu. Warum uns das jucken sollte? Nach Beenden des Buches wissen Sie es!
Hervorzuheben ist die verschobene Veröffentlichung des Buches kurz vor dem Shutdown im Zuge der Corona-Krise: Die Autoren haben sich dazu entschieden, nochmal Bezug auf die Epidemie zu nehmen und zu zeigen, warum diese eine direkte Konsequenz des Verlustes der Artenvielfalt ist.
Fazit:
Über Leben: Zukunftsfrage Artensterben: Wie wir die Ökokrise überwinden ist Wissenschaftsjournalismus par excellence! Es ist fundiert geschrieben, packend erzählt, grafisch untermalt und schonungslos offen. Wer danach noch nicht überzeugt ist, hält die Erde vermutlich auch noch für eine Scheibe.
Fritz Habekuß, Dirk Steffens, Penguin
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