Opfer und Täterinnen gleichzeitig.
Der Journalist und Autor Roberto Saviano wurde 1979 in Neapel geboren. In seinen Werken widmet er sich der Mafia, ein Synonym für organisierte Kriminalität. 2006 veröffentlichte er die Dokumentarstudie „Gomorrha“, in der er die Verstrickungen der organisierten Wirtschaftskriminalität mit der legalen Wirtschaft und der Politik in Italien beschrieb. Das Buch brachte Saviano nicht nur Preise ein, sondern auch Ärger und Drohungen. Seitdem steht er unter Polizeischutz, muss permanent seinen Wohnsitz wechseln und lebt quasi im Untergrund. Doch das hat ihn nicht davon abgehalten, weitere Bücher über dieses Thema zu veröffentlichen. In seinem neusten Werk widmet er sich den Frauen in der Mafia, ein Thema, das bis jetzt kaum Beachtung fand.
Frauen als Eigentum
In den Clans und Familien der Mafia existiert ein Moralkodex, der außerhalb dieser Strukturen kaum möglich wäre. Er bestimmt nicht nur über die Männer und ihre Beziehungen, sondern ist tief in den Familien, ja sogar in den intimen Liebesbeziehungen verankert. Dabei herrscht ein archaisches Frauenbild, das die Frau zum Eigentum und Kapital der Familie macht. Saviano geht diesem Frauenbild nach und erklärt es an diversen Beispielen. Er zeigt ganz explizit einzelne Schicksale und nennt alle beim Namen. Das kann mitunter für Außenstehende kompliziert werden, denn kaum Jemand wird bei seinem wirklichen Namen gerufen, Spitznamen - und die dann auch noch im Dialekt - sind üblich. Zudem werden Details im Text noch einmal aufgegriffen und in kleinen, eingeschobenen Artikeln erklärt. Das macht „Treue“ zu einer interessanten aber auch nicht einfachen Lektüre.
Frauen als Täterinnen
Mafiöse Strukturen und Verstrickungen gibt es längst nicht mehr nur in Italien. Scheinbar sind dabei europäische Staaten, wie Deutschland und Spanien längst von der Mafia unterwandert und auch in Süd-Amerika findet die organisierte Wirtschaftskriminalität fruchtbaren Boden. Doch es ist ein Fehlglaube, dass hier nur die Männer groß mitmischen. Auch Frauen besitzen genügend kriminelle Energie, um eigene Kartelle bilden zu wollen, den Willen zur Manipulation und die Kaltblütigkeit für Mord und Totschlag. Und selbst wenn sie nicht in der ersten Reihe einer Familie stehen, sind sie als Matriarchinnen oder einfach als weibliche Angehörige dem Moralkodex verpflichtet.
Das kann dazu führen, dass sie die verhasste Geliebte des eigenen Mannes aus dem Weg schaffen und danach deren gemeinsame Tochter aufziehen. Das begründet sich im „Eigentumsrecht der Familie an weiblichen Nachkommen“. Die sind für den Fortbestand des Clans zuständig, müssen den ausgewählten Mann heiraten und dienen nicht selten als Pfand innerhalb zerstrittener Clans.
Es kann aber auch sein, dass die Ehefrau des Chefs dessen Geliebte aus ganz anderen Gründen ermorden lässt:
„Den Ermittlern zufolge war der Mord an Angela Gentile „nicht durch die Eifersucht der Ehefrau veranlasst, die eine außereheliche Beziehung ihres Mannes Domenico Belforte, Clanchef der Camorra in Marcianise, aufgedeckt hatte, sondern durch die Forderung der Ehefrau des Clanchefs nach einer angemessenen Entschädigung für erlittenes Unrecht, entsprechend der verwerflichen kriminellen Logik der Mafia“.
Saviano zeigt neben der passiven Treue auch die andere Seite – die aktive, die zu kriminellen Handlungen bereit ist, um den eigenen Stand und das Ansehen der Familie zu schützen.
Fazit
Roberto Saviano hat sich mit „Treue“ den Frauen der Mafia gewidmet. Es ist ein ebenso interessantes wie erschreckendes Thema, das einen Moralkodex zeigt, der außerhalb dieser kriminellen Familie kaum möglich wäre. Mit „Treue“ hat Saviano abermals bewiesen, dass er weiterhin gegen die Mafia kämpft und sich auch durch massive Drohungen nicht den Mund verbieten lässt.

Deine Meinung zu »Treue«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!