Das Ohr an der Tür des Klassenfeindes
Was ist in den Jahren nach dem Beitritt der damaligen DDR zur Bundesrepublik nicht alles über die Spionage-Aktivitäten in den westdeutschen Amtsstuben spekuliert, geredet und geschrieben worden. Die Mitarbeiter des VEB Horch und Greif, wie das Ministerium für Staatssicherheit im Volksmund gerne genannt wurde, haben ihre auswärtigen Horch-Aktivitäten primär nach Westen, also gegen den anderen deutschen Staat, gerichtet. Heribert Schwan, Journalist und Autor zahlreicher Fernseh-Dokumentationen, hat sich in einer absoluten Fleißaufgabe daran gemacht, die Aktivitäten der in Fachkreisen legendären HVA, der Hauptverwaltung Aufklärung der Stasi, in diesem Buch zu dokumentieren.
Schwan, in Deutschland vor allem als Biograph des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl und seiner Frau Hannelore bekannt, arbeitet die DDR-Spionage in der Bundeshauptstadt Bonn vor allem entlang der einzelnen Kanzler und ihrer Minister-Riegen ab. So war unmittelbar nach Gründung der Bundesrepublik Konrad Adenauer ein bevorzugtes Ziel der “Kundschafter des Friedens”, wie die Spione in der Stasi-Zentrale an der Normannenstraße gerne genannt wurden. Die ersten “Romeo”-Aktionen richteten sich gegen Sekretärinnen aus dem Kanzleramt. DDR-Spione machten sich an diese Frauen heran, um sie für die Ausspähung der Machtzentrale zu gewinnen. Daneben war allerdings vor allem der Wiederaufbau westdeutscher Streitkräfte ein bevorzugtes Objekt der Stasi-Aktivitäten.
"Zum damaligen Zeitpunkt war das Ganze, allen ideologischen Scheuklappen zum Trotz, eine Meisterleistung der DDR-Auslandsspionage!"
Erfolgreich im Sinne von gut informiert war die HVA während ihrer gesamten Existenz, das belegt Heribert Schwan in diesem Buch anhand zahlreicher Beispiele. Neben der Ausspähung militärischer Planungen ging es oft auch um das Finden von “braunen Flecken” in der Vita politischer Entscheidungsträger, um dann öffentliche Empörung schüren und die Kontinuität zwischen Nazi-Deutschland und der Bundesrepublik belegen zu können. Ein Musterbeispiel dafür ist Vertriebenen-Minister Theodor Oberländer. Er wurde nach entsprechenden Recherchen zur Zielscheibe der DDR-Propaganda, und 1960 sogar in Abwesenheit von einem DDR-Gericht zum Tode verurteilt. Oberländer reichte entnervt seinen Rücktritt bei Adenauer ein, was von der Stasi als großer Erfolg gefeiert wurde.
IM Optik - ein Marxist und Millionär als Stasi-Spion
Ludwig Erhard wurde lange vor seiner Kanzlerschaft von den Dunkelmännern und -frauen aus dem Osten bespitzelt, ebenso FDP-Chef Erich Mende, wie so viele westdeutsche Politiker dieser Zeit ein ehemaliges Mitglied der NSDAP. In diesem Zusammenhang beschreibt Schwan den geradezu unglaublichen und für mich als Leser höchst überraschenden Fall von Hansheinz Porst. Der prominente Nürnberger Unternehmer und langjährige Eigentümer einer Fotohandelskette kam über einen SED-treuen Vetter in Ost-Berlin bereits Anfang der 50er Jahre in Kontakt mit dem MfS. Er unterschrieb eine Erklärung, dass er für die Sicherung des Friedens eintreten und den Faschismus bekämpfen wolle. Auf Drängen seiner Stasi-Kontakte wurde er Mitglied der FDP und unterstützte die Partei mit großzügigen Spenden, die er teilweise von der Stasi zurückerstattet bekam. Von seinem Duz-Freund Erich Mende bekam Porst jede Menge vertraulicher Informationen, die auf kurzem Wege in Ost-Berlin landeten. Porst flog schließlich auf, wurde 1969 wegen Landesverrats zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. IM Optik - Marxist und Millionär - ist ein besonders krasser Fall von Spionage aus Überzeugung.
Neben den vielen Ministern und Parteiführern im Westen standen einige Ministerien besonders im Fokus der Stasi-Spione. Das waren das Vertriebenen-Ministerium, später Ministerium für Innerdeutsche Beziehungen, das Innen-, Außen- und natürlich das Verteidigungsministerium. Aber auch die Kanzler genossen allesamt besondere Aufmerksamkeit. Über Kurt Georg Kiesinger, ehemaliges NSDAP-Mitglied, gab es umfangreiche Akten. Willy Brandt musste sogar zurücktreten, weil er die politische Verantwortung dafür übernahm, dass mit Günter Guillaume ein Agent in seiner unmittelbaren Umgebung platziert wurde. Helmut Schmidt wurde dann ebenso bespitzelt, den Gipfel erreichten die Bemühungen der Ost-Spione bei Helmut Kohl.
"Sie haben Helmut Kohl auf Schritt und Tritt beschattet: als CDU-Bundesvorsitzenden seit 1973, als Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zwischen 1976 und 1982 sowie als Kanzler seit 1982. Dabei kamen - die Zahl macht fassungslos - 320 Spione zum Einsatz."
Als merkwürdig bezeichnet es Heribert Schwan, dass etliche FDP-Politiker im Hinblick auf ihre Nazi-Vergangenheit von den ostdeutschen Schlapphüten und ihren Chefs im Politbüro geschont wurden.Eine weitere, mehrfach gemachte Anmerkung, betrifft das Strafmaß für nach der deutschen Einheit enttarnte Spione. Die Gerichtsurteile fielen oft vergleichsweise milde aus, so Schwans These, weil den Richtern die sogenannten Rosenholz-Dateien noch nicht bekannt waren. Dabei handelt es sich um 381 CD-ROMs mit etwa 350.000 Dateien. Eine ältere Version davon gelangte in der Wendezeit in die Hände der CIA, die letzte aktuelle Kopie der Rosenholz-Dateien wurde 1990 nach Genehmigung durch das Bürgerkomitee zur Auflösung der Stasi-Zentrale vernichtet. Die Mikrofilme der Agenten-Kartei der Stasi soll die CIA von einem KGB-Offizier haben. 2003 wurden die Datenträger nach langen Verhandlungen der Bundesrepublik übergeben. Schwan geht davon aus, dass es in den 90er Jahren viel härtere Urteile gegeben hätte, wenn damals die Rosenholz-Dateien den Richter bekannt gewesen wären. Immerhin konnte der Autor diese Dateien für sein Buch nutzen.
Fazit:
Das Buch von Heribert Schwan ist eine bemerkenswerte Fleißarbeit, die gesichteten Stasi-Akten umfassen viele Tausend Blätter. Der Autor nutzt aber auch in langen Jahren als Journalist bereits gesammeltes Material. Zuweilen ergeht sich Schwan in ebenso langweiligen wie ausführlichen statistischen Aufzeichnungen, als Journalist hätte er kürzer und knackiger schreiben können. Dennoch ist das Buch für zeitgeschichtlich interessierte Leser eine spannende Fundgrube. Man findet daran etliche Informationen, die so im Zusammenhang präsentiert ein ganz neues und interessantes Bild ergeben. Und letztlich wird deutlich, dass zwar ein enormer Aufwand getrieben wurde - der Verfall und Untergang der DDR damit aber nicht aufgehalten oder abgewendet wurde.
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