Zahme Rückschau auf ein wildes Leben.
Al Pacino, geboren 1940 im New Yorker Stadtteil Südbronx und dort auch aufgewachsen, gehört zu den berühmtesten Schauspielern des US-Kinos. Mit Meisterwerken wie „Der Pate“ (I-III; 1972, 1974 u. 1990), „Serpico“ (1973), „Scarface“ (1983) oder „Der Duft der Frauen“ (1992) ist er aufgrund seiner darstellerischen Leistungen schon zu Lebzeiten in die Filmgeschichte eingegangen.
Gleichzeitig ist Pacino berüchtigt, gilt als „schwierig“ und irritierte vor und hinter der Kamera durch Widerstand, Forderungen und Ausfälle. Er boykottierte werbewichtige Auftritte und TV-Sendungen, verbat sich Interviews, kehrte den Studios mehrfach über Jahre den Rücken und war oft benebelt oder betrunken. Auf diese Weise kam eine Karriere zustande, die wild zwischen der Nullebene und dem Gipfel pendelte.
Nun naht Pacinos 85. Geburtstag. Er nutzt die Gelegenheit und lässt sein Leben Revue passieren; dies freilich auf seine ganz eigene Weise: lückenhaft bzw. unter Ausschluss von Ereignissen, die ihn richtig schlecht dastehen lassen. Das Ergebnis ist eine simple, im Plauderton präsentierte Autobiografie, die nur dort in die Tiefe geht, wo es ihr Verfasser für notwendig hält, was interessant und erhellend ist. Zumindest manchmal lässt Pacino die Deckung fallen und gestattet echte Einblicke in einen ansonsten wohl bewusst geradlinig geschilderten Charakter.
Durchstart trotz miserabler Ausgangsposition
Pacino kehrt in den ersten Kapiteln ausführlich in seine Kindheit und Jugendjahre zurück. Er war das Kind aus Italien eingewanderter Vorfahren, die es in die raue South Bronx verschlagen hatte. Dort führten sie im ständigen Kampf gegen die Armut und das daraus resultierende Verbrechen ein Alltagsleben, das für den jungen Al umso schwieriger wurde, als sich seine Eltern trennten und er bei seiner psychisch labilen Mutter blieb (die sich später umbrachte).
Diese Jahre waren hart, aber auch aufregend. Pacino schildert eine Existenz am Rande der Kriminalität. Wiederum ausführlich geht er darauf ein, dass die besten Freunde aus dieser Zeit auf die schiefe Bahn gerieten und sämtlich an Drogen zugrunde gingen; ein Schicksal, das auch ihm hätte blühen können, wäre er nicht von aufmerksamen Großeltern aufgefangen worden und hätte nicht schon in frühen Jahren seinen Drang zum Schauspielen erkannt.
Dem weihte Pacino buchstäblich sein Leben. Er war oft obdachlos, hungrig und abgerissen, ließ aber niemals nach in seinem Bemühen, auf der Theaterbühne zu stehen. Als dies nach Jahren der Entbehrung gelang, wurde sein Talent ungeachtet eines schon damals ausgeprägten Eigensinns - den Pacino selbst als Schutzmauer eines schüchternen, auf ein ungestörtes Privatleben fixierten und am Ruhm leidenden Mannes definiert - erkannt. Von der Bühne wechselte Pacino zum Kino, wo er nach dem Höhenflug des ersten „Paten“ zunächst einen Lauf hatte, d. h. einen Publikums- und Kritikerfolg nach dem anderen vorweisen konnte.
Das Leben als Drahtseil
Dem folgten schwierige Jahre; dies auch wegen Pacinos Drogen- und Alkoholsucht, die er irgendwann in den Griff bekam. Sein Privatleben blieb unstet, wobei Pacino nur oberflächlich auf nachweislich dramatische Geschehnisse eingeht. So bleibt er bezüglich seiner unschön endenden Beziehungen ungemein vage. Seine Partnerinnen lobt er in den höchsten Tönen, wie er auch den Namen derjenigen Schauspielerkollegen, die er erwähnt, immer ein „groß“ voranstellt. Die Stinkstiefel bleiben anonym, was einerseits lobenswert ist, da Pacino nur kurz auf ihre Sünden eingeht, während man sich andererseits fragt, wieso man sich durch die Buchseiten arbeitet, um dort mit Allgemeinplätzen abgespeist wird.
Pacino gliedert sein Leben anhand der Theaterstücke und Filme, in denen er aufgetreten ist, was seiner Erzählung eine Stütze gibt. Private Erlebnisse werden angeflanscht. Er konzentriert sich auf die eigene Person, der Rest der Welt bleibt außen vor. Wie Greta Garbo wollte Pacino angeblich nur in Ruhe gelassen werden. Er liebt das Schauspiel und den Film, hasst aber Hollywood = ein Studiosystem, von dem er sich einst wie heute schlecht behandelt und betrogen fühlt; dies auch deshalb, weil man Disziplin und konformes Drehverhalten forderte, während Pacino seinen spontanen Ideen und Plänen folgte. Dass er u. a. für einige Dokumentationen verantwortlich zeichnet, die er größtenteils selbst finanzierte, wissen erstaunlich wenige Menschen. Auf diese Projekte geht der Autor natürlich gern ein.
Dass er über Hollywood nur wenig sagt, führt Pacino erstens auf seine im Suffnebel verschwundenen Jahre und zweitens auf seine Taubheit gegenüber einem Spiel um Macht und Bedeutung zurück, das man beherrschen muss, um sich dauerhaft auf hoher Ebene im System verankern zu können. Pacino konnte und wollte dies nicht und zahlte dafür seinen Preis, wie er nicht nur durchblicken lässt. Die ‚Schuld‘ - falls man davon sprechen darf - sieht er beim System und seinen Repräsentanten, nicht bei sich.
Die Weisheit des Alters?
Im letzten Drittel dieser Autobiografie widmet sich Pacino intensiv dem Alter, das er als Heimsuchung betrachtet. Er fühlt sich im Geiste jung und hat noch große Pläne, fühlt aber, dass er körperlich abbaut. Dieses Mal steht er einem Gegner gegenüber, den er weder ignorieren noch abwehren kann.
Statt sich mit dieser Gegenwart zu beschäftigen, flüchtet er noch einmal in seine Jugendjahre, die ungeachtet der vielen negativen Erfahrungen in der Rückschau vergoldet bzw. mit einer Nostalgie überzuckert werden, die wahrlich süßlich und künstlich dramatisiert sowie trivialisiert wirkt. Die letzten anderthalb Jahrzehnte seines Lebens streift Pacino nur und pickt sich heraus, woran er sich erinnern will. Auf der Strecke bleiben Fragen, auf die man gern Antworten hören würde. So erwähnt Pacino ganz en passant, dass er im Juni 2023 und damit 83-jährig noch einmal Vater geworden ist, geht aber nicht auf die Umstände ein: Das Kind gebar ihm eine Frau, die 54 Jahre jünger ist als er und offenbar ein (lukratives) Lebensmodell daraus gemacht hat, sich mit deutlich älteren Männern (wie Mick Jagger) zusammenzutun.
Als Mensch wird Pacino kaum fassbar, wobei er ohnehin behauptet, sich selbst nicht wirklich zu kennen. Die meisten ‚Pacino-Seltsamkeiten‘ seien Erfindungen sich selbst ihre Sensationen erschaffender Medien, auf die er keine Zeit verschwenden will oder die ihm nie zu Ohr gekommen sind. Auf diese Weise fügen sich 400 Seiten zu einem Buch, das man eine „Light-Biografie“ nennen möchte. Die Klärung der Frage, wer Al Pacino wirklich war, bleibt wohl einem späteren, neutralen Biografen überlassen.
Fazit
Eher kalt lassende, sich im Plauderton auf selektive und sparsam reflektierte Passagen eines Lebens konzentrierende Autobiografie. Die unverstellte Sicht des Verfassers auf sein Leben und dessen Verankerung im historischen Alltagskontext ist die Ausnahme: Al Pacino, der Mensch, bleibt - wie seinerseits offenbar gewollt - ein Geheimnis.
Deine Meinung zu »Sonny Boy«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!