Skandalös, aber nicht frei
Die Journalistin und Autorin Cristina De Stefano hat im vorliegenden Buch 20 Frauen porträtiert, die sich gegen gesellschaftliche Normen, Etikette und herrschende Moral aufgelehnt haben. Unter den Porträts sind bekannte Namen, wie Niki de Saint Phalle oder Else Lasker-Schüler, aber auch weniger bekannte, wie Nahui Olin oder Violet Trefusis.
Frauenleben, die sich gleichen
Ob von der Autorin gewollt oder ungewollt – die 20 Porträts gleichen sich. Alle Frauen sind Künstlerinnen, die aus ihrem Umfeld ausbrechen, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Häufig ist eine schwierige Kindheit der ausschlaggebende Grund, um aus den für Frauen vorgesehenen Bahnen zu entkommen. Doch das unkonventionelle Leben verlangt ihnen alles ab und sie scheitern alle – landen im Gefängnis, werden Alkoholikerinnen oder vereinsamen. Auch die große Bedeutung von Sexualität in ihrem Leben scheint allen gleich zu sein. Manche wurden durch Ereignisse in ihrer Kindheit regelrecht traumatisiert, andere erkannten ihre Homosexualität oder Nymphomanie. Die vorgestellten Frauen sind zwischen 1869 und 1930 geboren und so ist manche „Skandalnudel“ ihrer Zeit heute nicht mehr unbedingt bekannt. Es ist schön, auch Einblicke in diese Leben zu nehmen und diese unbekannteren Frauen kennen zu lernen, deren Ausbrüche aus den herrschenden Konventionen noch höher zu bewerten sind, als es in unserer Zeit der Emanzipation der Fall wäre.
Diese Frauen waren nicht frei
Warum De Stefano die Frauen als „frei“ bezeichnet, ist mir ein Rätsel. Gefangen in der Familie riskieren sie den Ausbruch, um dann in andere Abhängigkeiten zu gelangen. Sie suchen die Freiheit, finden sie aber nicht! Gefangen in alten Traumata oder gegenwärtiger Ablehnung durch die Gesellschaft sind sie Einzelkämpferinnen, die sich nach Unabhängigkeit sehnen, aber sie werden durch die gesellschaftlichen Zwänge ihrer Zeit immer wieder eingefangen. Ihre Leben sind durchaus aus der Sicht ihrer Zeitgenossen als „skandalös“ zu bezeichnen, so unkonventionell und anders sind sie als die der Durchschnittsfrau, aber frei – nein das sind sie nicht. Eine freie Frau ist finanziell und emotional unabhängig, kann ihren Weg beruflich und privat gehen, ohne Schaden an Leib und Seele zu erleiden, und das schaffte keine der porträtierten Frauen.
In der Kürze liegt nicht immer die Würze
Das Taschenbuch hat nur knapp 190 Seiten. Da ist es abzusehen, dass jeder Frau nicht viel Raum gegeben werden kann. Es wäre besser gewesen, die Anzahl zu minimieren und die Informationen zu maximieren. So erhält man nur einen kurzen Einblick in die Leben, obwohl sie so unkonventionell geführt wurden, dass sie in Erinnerung geblieben sind. Die sehr kurzen Porträts werden keiner einzigen der vorgestellten Frauen gerecht. Sie geben nur das wieder, was allgemein bekannt ist und was sie skandalös gemacht hat, aber lassen die Komplexität solcher Ausnahmefrauen nur erahnen. Wikipedia lässt grüßen! Klasse statt Masse wäre wünschenswert gewesen, damit der Leser mehr Zeit mit den Porträtierten verbringen kann und nicht nach 2 Seiten schon wieder in den nächsten Lebenslauf katapultiert wird.
Fazit:
Nehmen Sie das Buch als Anregung, sich den „skandalösen“ Frauen zu nähern und in anderen Publikationen mehr über sie zu erfahren, denn mehr als ein Appetizer ist es nicht.
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