Sei kein Mann
- hanserblau
- Erschienen: August 2020
- 0
So sind Jungs eben …?
Emanzipation und Gleichberechtigung sind in der Forschung schon lange Thema – fast könnte man meinen, dass die Männer dabei ein wenig unter den Tisch gefallen sind. Akademische Kritik richtete sich oft nur gegen die Stereotypen weiblicher Rollenbilder. Wie es aber – individuell und gesellschaftlich – um die Männlichkeit bestellt ist, wird geisteswissenschaftlich erst seit (relativ) Kurzem erörtert. Dabei scheint es höchste Zeit: (pop)kulturell prägende, immer öfter auftauchende Begriffe wie #metoo, toxic masculinity, Incel, #nohomo oder rape culture und die damit in Zusammenhang stehenden Themenfelder gehen allesamt auf zentrale Fragen darüber zurück, was es bedeutet, „ein Mann zu sein“. Dieser Frage hat sich der britische Schriftsteller JJ Bola mit dem vorliegenden Buch angenommen.
„Letzten Endes ist Männlichkeit ein Schauspiel“
Fast könnte man meinen, dass sich Männlichkeit heutzutage in einer Identitätskrise befindet und völlig neu definiert werden muss. In einschlägigen, thematisch gegliederten Abschnitten spürt Bola dem nach, zeigt zunächst gängige Mythen auf, um sich danach männlicher Gewalt und psychischer Gesundheit zu widmen. Es folgen Kapitel zu Liebe und Sex, Politik und Intersektionalität, Sport, Feminismus und einige spannende Seiten zum Einfluss von Social Media, deren Filterblasen manche Männer dazu verleitet, sich von ihrer schlechtesten Seite zu zeigen. Immer wieder lässt Bola auch eigene Erfahrungen mit einfließen. Seine Ausführungen sind in einem tagebuchähnlichen Stil gehalten, der manchmal etwas plump daherkommt, aber auch sehr persönlich wirkt und Raum für poetische, leidenschaftliche Plädoyers lässt.
Bola seziert die gesellschaftlich oft als unumstößliche Tatsachen wahrgenommenen Fiktionen dessen, was ein Mann sein und tun darf und was nicht. Er veranschaulicht die Geschlechterhierarchie und das nach wie vor bestehende Patriarchat, in dem sich diese ungehindert reproduziert. Anspruchsdenken, mangelndes Verständnis von Einvernehmen, aggressives Machtgebaren oder Gewaltpotenzial, die Unfähigkeit zur Intimität zwischen Geschlechtsgenossen und das psychisch äußerst ungesunde Unterdrücken von Schmerz und Gefühlen: diese Verhaltensweisen prägen das Männlichkeitsideal bis heute, und sie werden oft schon im jüngsten Alter an die nächsten Generationen weitergetragen.
Denn das Patriarchat verhilft zwar zu einer Menge Privilegien, ist aber gleichzeitig auch goldener Käfig: so wie Frauen oftmals auf bestimmte Rollenvorstellungen reduziert werden, lastet auch auf Männern sehr viel Druck, Erwartungen zu erfüllen. Solange Verstöße gegen dieses allzu enge Gedankenkonstrukt sozial sanktioniert werden, hindert es Menschen daran, sich selbst authentisch auszudrücken. Der Autor möchte mit diesen Gedanken jedoch auch darauf aufmerksam machen, dass solche auf allen Ebenen verankerten Normen form- und wandelbar sind: es darf und sollte Variationen von Männlichkeit geben und nicht nur ein starres, in mancherlei Hinsicht schädliches Modell. Das Buch regt – mithilfe einiger weniger, aber positiver Beispiele – Männer dazu an, sich mehr zu öffnen, sich neue Räume und Gemeinschaften zu schaffen und auch einmal Farbe zu bekennen; sich gegen uralte Systeme durchzusetzen, erfordere schließlich sehr viel Mut.
„Das Mannsein ist relativ und nicht statisch. Maskulinität ist ständig im Wandel. Sie ist fluide“
Bolas Sprache ist flüssig und man kann ihm leicht folgen: Dieses Buch soll Anlass geben zu einem gesamtgesellschaftlichen Umdenken, möchte größere Debatten anstoßen. Leider bleibt es zumeist eher oberflächlich. Die Kapitel sind oft innerhalb weniger Seiten abgehandelt und bieten einen guten Überblick, lassen aber selten eine detaillierte, kritische Analyse der angerissenen Themenbereiche zu. Gelegentlich rekurriert Bola auf bekannte Geisteswissenschaftler oder zieht aufschlussreiche Statistiken zu Rate, im Großen und Ganzen bleibt aber eher ein journalistischer anstatt wissenschaftlicher Eindruck zurück.
Eine hingegen sehr gelungene Ergänzung sind die zwischendurch eingestreuten Aussagen und Zitate verschiedener Leute zu ihrem eigenen Umgang mit Männlichkeit(en). Diese finden sich zwar nicht konsequent verteilt und werden auch nicht eingeführt oder erklärt (wie ist die Erhebung vonstatten gegangen, welche Personen wurden befragt?), bieten aber eine erfrischende Vielfalt an Perspektiven und zeigen im Ansatz die Art von offenem Diskurs, die sich Bola wünscht.
Fazit:
Bei Sei kein Mann ist der Name Programm: diese Abwandlung eines Klischee-Spruchs ist nicht nur Titel, sondern auch der Appell, der in JJ Bolas Buch deutlich durchklingt (und damit mindestens genau so effektiv wie der Originaltitel Mask off!, der eher auf emotionale Aufrichtigkeit abstellt). Das funktioniert als etwas simple, wenn auch sehr ehrliche und direkte Einführung ins Thema – wer sich ernsthaft damit beschäftigen will, sollte jedoch auch die Augen nach weiterführender Literatur aufhalten, die mehr in die Tiefe geht.
Deine Meinung zu »Sei kein Mann«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!