Sag nie, es gäbe nur den Tod für uns

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Julian Hübecker
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Sachbuch-Couch Rezension vonOkt 2021

Wissen

Judy Batalion nimmt sich die Zeit, ausführlich zu erzählen. Dies ist für so eine Reportage sehr wichtig und gelingt auf packende Weise.

Ausstattung

Fotos der Widerstandskämpferinnen erzeugen Nähe und ein stärkeres Bewusstsein für deren Leistungen.

Mutige Frauen im Kampf gegen den Nationalsozialismus

Während der beispiellosen Verbrechen an der Menschlichkeit während des Zweiten Weltkriegs formierten sich zahllose Widerstände – ob in der Politik, in der Kirche, unter Prominenten, Staatsführern oder einfachen Bürgerinnen und Bürgern. Selbst die Verfolgten, vor allem Juden aus ganz Europa, stellten sich den Nationalsozialisten entgegen und bezahlten ihren Mut oft mit dem Tod. Kaum beachtet sind dagegen die Kämpfe, die jüdische Frauen leisteten. Judy Batalion gibt ihnen ein Gesicht.

„Anfangs dachte ich, bei den mehreren Dutzend in Freuenin die Ghettos genannten Widerstandsagentinnen handele es sich um alle. Doch als ich das Thema erst einmal angerissen hatte, begegneten mir an jeder Ecke unglaubliche Geschichten über weibliche Kämpfer (…)“

Als sich Judy Batalion dazu entschloss, jüdischen Widerstandskämpferinnen eine Stimme zu geben, ahnte sie selbst noch nicht, wie groß diese Aufgabe sein würde. Auf einmal schossen überall Geschichten hervor von mutigen Jüdinnen, die alles taten, um ihre Familien und Kinder zu schützen. Solche, die „arisch“ aussahen, wirkten als Kurierinnen zwischen Städten, um als Spioninnen die Lage abzuchecken, um Lebensmittelkarten zu holen oder Untergetauchten die neuesten Meldungen zu überbringen. Sie flirteten mit deutschen Soldaten, schmuggelten Waffen von einem Untergrund zum nächsten und führten oft genug selbst den direkten Kampf.

Würde man all diese Heldentaten zusammentragen, würde dies den Rahmen eines einzelnen Buches sprengen. Daher beschränkt sich die Autorin auf polnische Jüdinnen. Die meisten von ihnen fanden sich nach der Machtübernahme durch Hitler in Ghettos wieder, wovon das Warschauer Ghetto vermutlich das bekannteste ist. Bereits hier formierten sich die Widerständler, in denen Frauen eine große Rolle gespielt haben. Es war eine Gemeinschaft, in der Geheimhaltung das höchste Gut war, wo man ständig damit rechnen musste, Kameradinnen und Kameraden zu verlieren, weil sie erwischt wurden. Dazu kommt die allgegenwärtige Trauer, weil die eigenen Familienmitglieder oft bereits deportiert und ermordet wurden. Auf erschütternde Art sind all diese Berichte, die hier zusammenkommen, mitreißend und schwer zu ertragen.

Stimmen, die beinahe vergessen worden wären

Bereits wenn man das Buch aufschlägt, bekommt man eine Gänsehaut: Hier stehen die Namen der Frauen, die in polnischen Widerstandszellen gekämpft haben. Dennoch hat Batalion nur einige in den Fokus nehmen können. Da die Widerständler aber stets über Netzwerke verbunden waren, tauchen die anderen Frauen auf und werden so gewürdigt.

In vier Teilen ist das Buch aufgebaut: „Ghetto-Mädchen“, „Göttinnen oder Teufelinnen“, „Keine Grenze wird sie aufhalten“ und „Das emotionale Erbe“. Wichtig ist vor allem das erste Kapitel, weil hier einige wichtige Widerstandkämpferinnen vorgestellt werden – etwa, wie sie vor dem Zweiten Weltkrieg aufgewachsen sind, wie es ihnen nach der Niederlage Polens erging und welche Rolle sie ab da gespielt haben. In der Mitte des Buches gibt es dann viele Fotos, die die Jüdinnen in eben jener Zeit zeigen, in der sie Schreckliches erlebt haben. Das macht das Buch noch packender und wirklicher.

Auch wenn ich eher ein Fan von kompakteren Sachbüchern bin, weil ich denke, dass diese eher das breite Publikum ansprechen und fesseln, so haben es die mutigen Widerständlerinnen verdient, endlich aus dem Schatten ihrer männlichen Mitstreiter geholt zu werden. Entstanden ist ein umfassendes Porträt, das eine Nähe zu den Frauen erzeugt, mit dem Wissen, dass viele von ihnen nicht überlebt haben. Das Buch liest sich dadurch nicht mal eben, sondern bedarf Aufmerksamkeit. Obwohl viele Emotionen beim Lesen mitschwingen, so überwiegt doch eins: Respekt für den Mut für eine gerechte Sache zu kämpfen.

Fazit

Sag nie, es gäbe nur den Tod für uns ist ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung des Schreckens im Zweiten Weltkrieg. Ergreifend sind die Einzelschicksale der jungen Jüdinnen, die den Mut nicht verloren, für eine gerechte Sache zu kämpfen. Beispiellos und mit großer Wirkkraft.

Sag nie, es gäbe nur den Tod für uns

Judy Batalion, Piper

Sag nie, es gäbe nur den Tod für uns

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