Rückkehr ins Leben
- C.Bertelsmann
- Erschienen: September 2021
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Ein Neuanfang mit 53
Lockdown. Ein Begriff der uns Bürger seit einiger Zeit heimsucht. Er bedeutet, dass wir unsere Freunde nicht sehen, uns nur zum Einkaufen oder für Arztbesuche aus dem Haus bewegen und die Fitnessstudios, Kinos und Schwimmbäder geschlossen sind. Kurz gesagt, wir spüren, dass uns unsere Freiheit entrissen wird und wir nur noch zuhause eingesperrt sind und langsam wahnsinnig und dick werden.
Jens Söring befand sich 33 Jahre im „Lockdown“. Die meiste Zeit davon in US-Amerikanischen Haftanstalten auf knapp zwei mal dreieinhalb Metern Zellengröße, die er sich mit einem Mitbewohner teilte.
Wirklicher Lockdown im US-Gefängnis bedeutete dann, dass die Häftlinge ein bis zwei Wochen zwecks Durchsuchung in ihren Zellen eingesperrt wurden und sie für diese Zeit nicht verlassen durften, nicht einmal zum täglichen Duschen.
Alltagsanekdoten
Nun steht Jens Söring im Alter von 53 Jahren vor einem Neuanfang. Sein erstes Jahr in Freiheit schildert er in diesem bewegenden Buch.
Er beschreibt seinen Alltag, z.B wie er vor der umfassenden Obst und Gemüseauswahl im Edeka steht und sich nicht entscheiden kann, er endlich wieder einen Baum berührt und sein erstes Smartphone in den Händen hält und nicht weiß wie er einen Anruf entgegennehmen soll.
Nähe, Vertrauen, Freiheit, Liebe, Privatsphäre. Alle diese grundlegenden Bedürfnisse hat Söring 33 Jahre lang vermisst und versucht sich nun wieder an sie heran zu tasten. Bewegend und zugleich lustig beschreibt er Anekdoten aus seinem Alltag in Freiheit.
Ich höre ein sanftes Klopfen an der Tür. Sofort spannen sich alle meine Muskeln an, mein Puls schnellt in die Höhe. Ein Geräusch an der Tür [...] bedeutet, dass Wärter im nächsten Moment die Zelle für eine Durchsuchung stürmen werden. [...] Jetzt wird zum dritten Mal geklopft, immer noch zart, beinahe zaghaft. [...] Vermutlich wartet irgendjemand auf der anderen Seite der Tür, kommt aber nicht in den Raum, solange ich nicht antworte. Ich habe eine Privatsphäre. Ich habe die Macht zu entscheiden, wen ich in mein Zimmer lasse.
Fragwürdiger Indizienprozess
Im Alter von 19 Jahren wurde er 1986 inhaftiert für den Doppelmord an den Eltern seiner damaligen Freundin und zu zwei mal lebenslänglich verurteilt.
Bis heute sind er sowie die Mehrheit der Experten wegen unzähliger und eindeutiger Beweise von seiner Unschuld überzeugt. Er geht in seinem Buch mit dem amerikanischen Rechts- und dem Gefängnissystem hart ins Gericht.
Söring zeichnet sich durch seine glasklare Sprache aus. Er hat die Fähigkeit Momente atmosphärisch zu beschreiben und diese mikroskopisch genau zu sezieren.
Fazit
Sympathisch, humorvoll, intelligent – Jens Söring ist ein großartiger Erzähler, der die Seiten leben lässt. Mit seinen messerscharfen Formulierungen trifft er die amerikanische Justiz und damit dessen Resozialisierungs,- und Gefängnissystem mitten ins Herz.
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