Putins Olygarch

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  • Erschienen: April 2024
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Thomas Gisbertz
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Sachbuch-Couch Rezension vonOkt 2024

Wissen

Die Schattenseiten der mächtigsten Sportorganisation der Welt werden spannend wie ein Politthriller dargestellt.

Ausstattung

Umfangreiche Bibliografie, die nicht nur die Thesen belegen, sondern auch zur individuellen Recherche einladen.

Selten wurden die Schattenseiten und Verfehlungen des IOC derart klar vor Augen geführt.

Die Olympischen Spiele in Paris liegen gerade erst hinter uns. Neben zahlreichen Sportereignissen, Medaillensiegern und Feierlichkeiten rückte auch ein Gesicht in den Fokus der Öffentlichkeit: Dr. Thomas Bach, der deutsche Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Ein Mann, der auf den ersten Blick so unscheinbar daherkommt und der stets die friedensstiftende Bedeutung der Olympischen Spiele betont. Doch Werte wie Fairness, Ehrlichkeit, Respekt und Aufrichtigkeit, die man im Sinne des olympischen Geistes von den Athleten einfordert, scheinen beim IOC selber zumindest in der oftmals desaströsen Außendarstellung im Vergleich zur besonders restriktive Informationspolitik des Komitees keinerlei Rolle zu spielen.

Die beiden Journalisten Johannes Aumüller und Thomas Kistner von der „Süddeutschen Zeitung“ zeichnen nach langer, akribischer Arbeit ein ernüchterndes, ja geradezu erschreckendes Bild des in Würzburg geborenen Sportfunktionärs Thomas Bach, dessen Geschichte seit Jahrzehnten eng mit dem intransparenten, kriminellen IOC verknüpft ist. Beziehungen in die arabische, asiatische und vor allem russische Welt - nicht zuletzt seine Nähe zu Wladimir Putin - öffneten dem aalglatten ehemaligen Florettfechter so manche Tür und ermöglichten ihm den Weg auf den Thron des IOC. Der investigative Report von Aumüller und Kistner zeigt die enge Verknüpfung von Sport, Politik, Geld und Propaganda eindrucksvoll auf. Das Buch ist eine Reise durch mehr als 40 Jahre IOC, die in der Wahl Bachs und dessen Russland-freundlicher Politik mündet. Die Autoren können dies präzise nachzeichnen, anhand zahlreicher Akten und Unterlagen sowie zahlreicher Gespräche mit einflussreichen Akteuren: nicht zuletzt aus den internationalen Sportverbänden, der russischen Politik und dem KGB.

Renommierte Journalisten

Mit Johannes Aumüller und Thomas Kistner schreiben zwei Journalisten ihr erstes gemeinsames Buch, die auf dem Gebiet des IOC und des russischen Sports ausgewiesene Experten sind. Autor und Sportredakteur Thomas Kistner ist vor allem für investigative Beiträge zu den Schattenseiten des Sports, etwa Doping und Korruption weltweit bekannt und begleitete den Aufstieg Thomas Bachs im IOC seit dessen Eintritt Anfang der 1990er Jahre aufmerksam. Kistner veröffentlichte u.a. 2000 das viel beachtete Buch „Der olympische Sumpf“ und wurde 2008 mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet.

Johannes Aumüller verfolgt seit Jahren wie kaum ein anderer westlicher Journalist den Einfluss Russlands in der Welt des Sports und die enge Verflechtung von Sport und Politik in diesem Land.

Seit vielen Jahren recherchieren die Autoren für die SZ zu den Machenschaften nationaler und internationaler Sportverbände und enthüllten dabei zahlreiche dubiose Vorgänge rund um das IOC. Für ihre Recherchen zu FIFA-Präsident Gianni Infantino gewannen beide Journalisten 2023 den höchsten Preis des Verbandes deutscher Sportjournalisten (VDS).

Der große Manipulator

Die Nähe zwischen Thomas Bach und Wladimir Putin wird nicht erst seit der Wahl des Deutschen zum Chef des IOC 2013 in der internationalen Sportwelt scharf kritisiert. Er sei ein Präsident in Putins Gnaden, ein Statthalter des russischen Politikers oder - wie es Aumüller und Kistner nennen - Putins Oligarch. Da ist es nicht verwunderlich, dass das IOC, das jegliche Antworten auf die (Interview-)Fragen der beiden Autoren verweigerte, verzweifelt darum bemüht ist, die Fakten der Recherche in Zweifel zu ziehen. Von Fake-Materialien oder gar den Einfluss russischer Mächte wird hier gesprochen. Umso wichtiger erscheint es, dass weder die Autoren noch die dtv Verlagsgesellschaft sich beirren ließen und die Ergebnisse der Recherchen im April veröffentlichten. Aumüller und Kistner zeigen den oftmals nur schemenhaft erkennbaren Werdegang des cleversten Strippenziehers, den die moderne Sportwelt kennt. Die Autoren spannen den Bogen von Bach durch einen Stasi-Spitzel dokumentierte Anwesenheit bei Treffen 1986, bei denen es um die Manipulation bei der Wahl zum Präsidenten des Internationalen Boxverbandes (AIBA) geht, über seine offensichtlichen Interessenskonflikte zwischen der beruflichen Tätigkeit, etwa als Berater des Siemens-Konzerns, und seiner Tätigkeit als Sportfunktionär bis hin zur Vertuschung zahlreicher Skandale und Bestechungsvorwürfen.

Bachs Beziehung zu Putin und Russland

Im Mittelpunkt des Buches steht aber neben Bachs Werdegang und sein Wirken im IOC dessen Verflechtungen zu Putin-Russland und die offensichtliche Duldung des Staatsdopings und der russischen Propaganda-Show 2014 bei den Winterspielen in Sotschi. Nicht nur damals biederte sich Bach laut dem Autorenduo immer wieder Diktatoren, Autokraten und Großkriminellen an, wenn er davon einen persönlichen Nutzen hatte. Der Würzburger führt das IOC mit Tricks, Gaunereien und einer überwältigenden Hybris an und sein Verhalten im Umgang mit Skandalen ist mit beschämend noch unzureichend beschrieben. So schuf er sich wie im Märchenbuch seine ganz eigene Olympiawelt oder - mit den Worten Aumüllers und Kistners - das IBK: das Internationale Bach-Komitee. Dazu gehören auch die Gründung der gerade erneut in Kritik stehenden WADA. Wenn am Ende etwas Positives bleiben soll, dann die Tatsache, dass Bach selber der angestrebten Änderung der IOC-Regularien zur Verlängerung seiner Amtszeit über die möglichen acht Jahre hinaus kurz vor Ende der Spiele in Paris doch eine Absage erteilte. Betrachtet man seine möglichen Nachfolger, bleibt aber wenig Hoffnung, dass sich nun im Komitee irgendetwas ändern sollte.

Fazit

Man kommt aus dem Kopfschütteln nicht heraus. Dass das IOC korrupt ist, Skandale vertuscht und Diktatoren hofiert, war längst bekannt. Was Aumüller und Kistner aber hier aufdecken, sprengt alle Grenzen des Tolerablen. Wenn Manipulation, Machtmissbrauch und Ignoranz an der Tagesordnung sind und das in sich geschlossene System des Komitees keinerlei Kritik duldet, sich sogar gleichzeitig aber selber schützt, hat dies nichts mehr mit dem Geist der Olympischen Spiele zu tun, wie ihn einst Pierre de Coubertin beschwor. Bach und das IOC haben in der Tat die Idee der Olympischen Spiele verraten. Dies zeigen Aumüller und Kistner in ihrem gut recherchierten, kritischen und überaus lesenswerten Buch eindrucksvoll auf.

Putins Olygarch

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