Mythos Nationalgericht

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Carola Krauße-Reim
10101

Sachbuch-Couch Rezension vonJul 2024

Wissen

Mit Literatur untermauertes Wissen.

Ausstattung

Textlastig, ohne Abbildungen, jedoch mit Literaturangaben und Listung der bekanntesten Ursprungsbezeichnungen und Regionalsiegel

Traditionelle italienische Küche – nur ein Marketing-Gag?

Der Historiker Alberto Grandi forscht an der Universität Parma und hat schon mehrere Bücher über das Essen in Italien geschrieben. Doch mit dem vorliegenden Werk hat er sich nicht nur Freunde gemacht, denn in „Mythos Nationalgericht“ greift er das inoffizielle Nationalheiligtum aller Italiener an – ihre als traditionell angesehen Speisen, wie Spaghetti, Pizza oder Parmaschinken. Da ist es nicht verwunderlich, dass das Buch heiß diskutiert wurde und Grandi sich ungewollt und quasi über Nacht zum Erzfeind aller Mamas und Nonnas machte.

Pizza ist nicht typisch italienisch und Spaghetti Carbonara stammt aus Amerika

Im ersten Teil des Buches geht Alberto Grandi auf die Geschichte der italienischen Speisen ein. Vom Mittelalter bis in die Jetzt-Zeit zeigt er, was wann gegessen wurde und weshalb manches als traditionell und typisch italienisch Angesehene alles andere als das ist. Das beleuchtet er an manchen speziell ausgesuchten Produkten, wie Parmesan, Panettone oder dem Speck „Lardo di Colonatta“, im zweiten Teil genauer. Grandi stellt die These auf, dass die als traditionell italienisch angesehene Küche in Wirklichkeit von den nach Amerika ausgewanderten Italienern erfunden und quasi wieder reimportiert wurde und überhaupt erst nach dem zweiten Weltkrieg entstanden ist. Dabei halfen, laut Grandi, auch die immer mehr werdenden Regionalsiegel und Herkunftsbezeichnungen, die bis heute nicht immer der Wirklichkeit entsprechen und sich manchmal sogar selbst das Wasser abgraben. Im letzten Teil des Buches stellt der Autor einige dieser Bezeichnungen vor, die wirklich kaum durchschaubar und manchmal sogar verunsichernd sind. Im Anhang listet er dann diverse Literatur auf, die seine These untermauert, bzw. die sie auch kritisch sehen lässt.

Hier staunt man nicht schlecht!

Wann beginnt eine Tradition? Diese Frage habe ich mir über lange Strecken des Buches gestellt. Seine Antwort hierauf gibt der Autor erst sehr spät und die daraus folgende Schlussfolgerung ist ebenso überraschend, wie erstaunlich. Alles vor dieser Erkenntnis ist eigentlich Vorgeschichte, bzw. Historie oder auch eine Art Herkunftsnachweis diverser, als typisch angesehener Produkte und Speisen. Doch das alles liest sich sehr interessant und kurzweilig. Grandi schreibt oft sehr humorvoll, aber manche Passagen sind auch in wissenschaftlichem Stil gehalten. Man sollte also schon einiges Interesse an dem Thema mitbringen, denn ein Selbstläufer ist das Buch nicht. Staunen werden Sie allerdings garantiert immer wieder, eigentlich kommt man während der über 250 Seiten gar nicht mehr raus. Denn egal welches italienische Nationalgericht in den Sinn kommt, Grandi zerpflückt es garantiert! Sogar die Tomate und das Olivenöl bekommen ihr Fett weg, von den Spaghetti und der Pizza ganz zu schweigen.

Fazit

Egal ob Sie an kulinarischer Geschichte interessiert sind oder einfach nur gerne Spaghetti und Pizza essen – nach der Lektüre von „Mythos Nationalgericht“ werden Sie die „traditionelle italienische Küche“ mit ganz anderen Augen sehen! Alberto Grandi hält Wundersames und sehr Interessantes parat, das zum Staunen und Nachdenken einlädt – vielleicht bei einem Glas italienischen Rotwein DOCG und einem als DOP qualifizierten Käse.

Mythos Nationalgericht

Alberto Grandi, HarperCollins

Mythos Nationalgericht

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