Ethik mit Anpack-Mentalität
Corona könnte nur der Vorbote sein: Der Klimawandel zeichnet sich am Horizont ab und droht, die Erde massiv zum Nachteil ihrer menschlichen Bewohner zu verändern. Was kann ein Einzelner dagegen tun? Wie lange dürfen wir noch SUV fahren und Schnitzel essen? Diesen Fragen nähert sich Bernward Gesang mit einem klugen, pragmatischen Essay aus ethischer Sicht an.
Mut zur Blamage
Die Frage, wie sich das Klima verändert und was das für die Menschheit bedeutet, kann keine Disziplin allein beantworten. Bernward Gesang versucht, aus ethischer Sicht Leitlinien für den Klimaschutz aufzuzeigen. Dabei möchte er aber nicht im Elfenbeinturm der Philosophie verharren: Es nütze „nichts, sich auf die Grenzen seiner Disziplin zu berufen, man braucht schon den Mut zur Blamage, denn niemand kennt sich überall aus.“ Um die Blamage möglichst zu vermeiden, beruft sich Gesang auf zahlreiche anerkannte Experten unterschiedlicher Disziplinen. Wo immer notwendig, skizziert er deren Forschungsstand gewissenhaft, aber ohne sich dabei in Details und die zentralen Fragen aus dem Blick zu verlieren: Was soll ich tun? Was sollen wir tun?
Konkrete Vorschläge statt moralinsaurer Phrasen
Gesang folgt der philosophischen Richtung des Utilitarismus. Diese stellt stets die Frage nach dem Nutzen in den Vordergrund: Eine Handlung wird ausschließlich daran beurteilt, welche konkreten Folgen sie nach sich zieht. Ob die Beweggründe für die Handlung selbstlos oder egoistisch waren, ist hier nicht relevant – es zählt allein die harte Währung des Nutzens. Aus diesem Blickwinkel formuliert Gesang seine Vorschläge für eine Ethik des Klimaschutzes. Jeder Einzelne könne und solle einen Beitrag leisten. Dabei verlangt er aber nicht, dass jeder sein gesamtes Leben dem Kampf gegen den Klimawandel opfere – vielmehr geht er von einem begrenzten „Budget“ an Zeit, Geld und Anstrengung aus, das jeder Einzelne als Beitrag zum Klimaschutz einsetzen könne.
Spende bewegt mehr als Verzicht
Wie sollte dieser Einsatz aussehen? Hierauf gibt Gesang die Antwort: So, dass er die maximale Wirkung erzielt! Viel gewonnen wäre, wenn jeder Deutsche 5% seines Einkommens an eine Organisation spende, die den Regenwald schützt und zugleich den Menschen im globalen Süden eine Perspektive bietet. Durch solche regelmäßigen Spenden, argumentiert Gesang, kann eine Einzelner mehr bewegen als durch den Verzicht auf Fleisch oder die Fahrt im SUV. Natürlich sei es am besten, sowohl auf das Fleisch zu verzichten als auch zu spenden. Wenn das begrenzte „Budget“ an Energie nur für eine der beiden Handlungen ausreiche, dann solle man doch besser mit dem Spenden anfangen. Den Einzelnen zu überfordern, sei nun auch nicht zielführend.
Auch für Staat und Wirtschaft formuliert Gesang einige konkrete Vorschläge, wie der Klimaschutz möglichst wirksam vorangetrieben werden kann. So schlägt er vor, dem Umweltministerium ein Vetorecht bei der Gesetzgebung einzuräumen, sodass die Interessen des Klimas stets einbezogen werden müssten. Wirtschaftspolitisch setzt er auf einen „Green New Deal“, der Anreize zu grünem Wachstum schafft. Ein genereller Verzicht auf Wachstum sei zwar für die Umwelt noch besser – doch hier gibt Gesang den nüchternen Pragmatiker: Dass die gesamte Weltwirtschaft sich in näherer Zukunft vom Wachstumsdenken verabschiede, sei schlichtweg unrealistisch.
Keine Angst vor heißen Eisen
Gesang schlägt immer wieder den Bogen von der philosophischen Überlegung zur gelebten Praxis. Dabei schreckt er auch nicht vor Themen zurück, die seiner Ansicht nach mit „Denkverboten“ und Tabus belegt sind. So argumentiert er etwa: Niemand könne bestreiten, dass jedes neugeborene Kind – insbesondere in einem Industrieland wie Deutschland – aus der Perspektive der Umwelt ein weiterer Emittent von schädlichem CO² sei. Wenn das Ziel sei, den CO²-Ausstoß zu reduzieren, müsse es also durchaus erlaubt sein, über eine Begrenzung von Geburten nachzudenken.
Etwas gewöhnungsbedürftig sind die Metaphern aus der Fantasywelt, derer sich Gesang zur bildlichen Darstellung der Klimaproblematik bedient. So ist ständig von den „Heeren der Finsternis“ die Rede, die von den „Helden der großen Transformation“ zurückgeschlagen werden müssen. Die „Seite des Lichts“ befände sich in einem Kampf gegen die Dunkelheit. Um bei dieser Metapher zu bleiben: Am Ende des Buches bleibt die Einsicht, dass die Dunkelheit aktuell die besseren Quoten auf den Sieg hat. Doch wie man aus der Fantasyliteratur weiß: Erst, wenn es fast aussichtslos scheint, kommen die Helden mit ungeahnter Kraft zurück.
Fazit:
„Mit kühlem Kopf“ liest sich wie ein Plädoyer gegen den Fatalismus: Wir können etwas tun, und wenn unser Beitrag noch so klein erscheinen mag, so die Botschaft. Anstatt mit moralinsaurer, vorwurfsvoller Stimme die Menschen mit endlosen Forderungen und Anklagen zu überschütten, schlägt Gesang einen pragmatischen Ton an. Auf der Basis der philosophischen Richtung des Utilitarismus stellt er ethische Überlegungen an, die er dann sofort in konkrete, praktische Handlungsanweisungen ummünzt. Besonders diese Anpack-Mentalität macht diesen Essay zu einem sehr lesenswerten, bereichernden Beitrag zur Klimadebatte.
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