Intellektuell ein Stück voraus sein (wollen).
Wie man sich bettet, so liegt man, und wie man sich ausdrückt, wird man gesellschaftlich wahrgenommen und einsortiert. ‚Bessere‘ Kreise und Klassen gab es in der Menschheitsgeschichte spätestens, seit man sich sesshaft niederließ und die Aufgaben des täglichen Lebens einerseits verteilte, wobei sich andererseits möglichst viele Zeitgenossen dort einrichteten, wo sie dem profanen Alltagsgeschehen und der damit verbundenen Drecksarbeit enthoben waren.
In anderen Nischen wurde u. a. gearbeitet oder naturwissenschaftlich und technisch, aber auch und später vor allem geisteswissenschaftlich geforscht. Hier entstand eine dem jeweiligen Forschungsdrang verpflichtete ‚Fachsprache‘. Sie wurde von denen verstanden, die sich entsprechend betätigten, drückte einschlägige Sachverhalte aus und kürzte womöglich umständliche Beschreibungen zeitsparend ab.
Stets gab und gibt es Gruppen, die sich ungeachtet oft aggressiver Unbildung ‚besser‘ dünken als die Mehrheit ihrer Mitmenschen. Sie drücken dies in ihrem Auftreten aus und schließen dabei auch die Sprache auf die für sie typische Weise ein, indem sie diese vereinnahmten, also Wörter, Ausdrücke und Formulierungen dort plündern, wo sie Geist und Elite halbwegs ahnen. Lange betraf dies als Quelle in erster Linie die griechische und römische Vorzeit, während man die folgenden Jahrhunderte der Völkerwanderung und des Mittelalters als zivilisationsdunkle Leerstellen schmähte.
Unzählige griechische und lateinische Wörter wurden usurpiert, sogar neu erschaffen und eifrig in Rede und Schrift eingebaut. In der Neuzeit gab man sich zusätzlich frankophil, fiel über den französischen Wortschatz der Oberklasse her und produzierte endgültig jene „inkpot words“, die dem Tintenfass, in welches der schon ob dieser Geste als Geistesgröße markierte Autor seinen Gänsekiel tauchte, nur unwillig entwichen; sie sollten den Kreis derer, die sich mit ihnen schmückten, nicht verlassen.
Was lebt, kann sich wehren
Sprache ist lebendig. Sie verändert sich, weil sie aktiv genutzt wird. Der Mensch bereichert sie durch neue Elemente, während gleichzeitig Altes oder altmodisch Gewordenes in der Versenkung verschwindet: Der Blick in deutsche Wortschätze des 17. bis 19. Jahrhunderts fällt auf eine Fülle klangvoller Substantive, Adjektive oder Verben, die einst alltäglich verwendet, dann jedoch vergessen wurden und nunmehr unverständlich sind.
Unabhängig davon bildete sich ein Cluster oft langlebiger, weil „kluger Wörter“, deren Einsatz den Schreiber oder Sprecher als gebildeten Zeitgenossen definiert/e. Auch dieser Pool unterliegt historisch-kulturellen Veränderungen, denn er spiegelt die jeweilige Epoche wider, wie Matthias Heine in diesem Buch belegt, was über die Beschäftigung mit dem Wort zusätzliches Lektüreinteresse generiert.
Als Journalist und Autor arbeitete Heine an der Neuausgabe des „Deutschen Wörterbuchs“ des Germanisten Hermann Paul (1846-1921) mit. Auf der Basis seiner Fachkenntnis hat sich einige prägnante Wörter herausgegriffen, die sich bis heute im Wortschatz jener erhalten haben, die gebildet sind oder es wenigstens vorgeben wollen; ein Drang, den der Autor immer wieder spöttisch kommentiert und schon im Untertitel aufgreift: „Wie wir den Bildungswortschatz nutzen können - und wo seine Tücken liegen“. Wer sich vornehm geben will, ohne wirklich zu wissen, wie man aufgeschnappte Wörter verwendet, blamiert sich erst recht, denn pompös maskiertes Unwissen ist tödlich. Nicht grundlos gilt der Rat, Fachwörter nur zu verwenden, wenn man um ihren korrekten Einsatz weiß.
Heines Kreis der entwurzelten Wörter
Den Hauptteil des Buches bestreiten Wörter, die sich im Laufe ihres ‚Lebens‘ viel gefallen lassen mussten. „Antagonist“, „Archetyp“ oder „Desiderat“, aber auch „Büchse der Pandora“ oder „Hydra“ begegnen uns außerhalb ihrer Biotope, wo sie oft getrennt von ihren Bedeutungswurzeln Verwendung finden. Wer weiß wirklich, dass und welche Geschichten sich hinter Begriffen wie „Menetekel“, „Parforceritt“ oder dem zum (intellektuellen) Witz mutierten „par ordre du mufti“ verbergen? Autor Heine begibt sich auf ihre Spuren, die oft erstaunlich kurz sind: Es liegt kaum vier Jahrhunderte zurück, dass deutsche Leser mit deutschsprachiger Literatur versorgt werden. Werke, die „ernst genommen“ werden sollten, entstanden in jenem Latein, das zuverlässig nur das ‚richtige‘ Publikum (und Kirchenleute) beherrschten. Zusätzlich wurden fleißig Zitate aus dem Altgriechischen verwendet, das jeder kluge Mann selbstverständlich ebenfalls beherrschte.
Erst als sich die deutsche Sprache auch im Druck durchsetzte, wurde sie selbst zum Objekt der Forschung, d. h. untersucht, kategorisiert und erläutert. Erste Wörterbücher entstanden, die für jene, die nach dem ersten Auftauchen eines Wortes fahnden, zu Schatztruhen wurden. Immer wieder zitiert Heine aus einschlägigen, alten Bänden, wobei die so gesammelten Informationen abgeglichen werden müssen: Man darf sich nicht auf die Argumentation vergangener Spezialisten verlassen, selbst wenn sie sich ernsthaft ihrer Materie gewidmet haben: Fehler und Irrtümer sind keine Phänomene der Gegenwart.
Es fällt auf, dass „kluge Wörter“ aus dem Wortschatz verschwinden können, bis sie oft viel später einem Autor oder Redner auffallen, der sich in sie verliebt und sie aufleben lässt. „Redundant“ ist so ein Veteran, der sich durch viele Jahrhunderte geschleppt und seine Bedeutung dabei geändert hat. In den 1960er und 70er Jahren, als hierzulande Philosophen u. a. Vertreter angeblich zeitloser Werte nicht nur schrieben und sprachen, sondern sogar gehört wurden, kehrten viele Wörter aus dem Limbo zurück. Heute sind es oft Politiker, die hinter dem Mikrofon gebildet wirken wollen und ihre ansonsten inhaltsdürftigen Vorträge mit „klugen Wörtern“ würzen. (Die einstige Relevanz kann übrigens verloren gehen, was sogar ein geheimnisvoll wirkendes Wort wie „sibyllinisch“ betrifft. Heine belegt, dass in den Medien inzwischen sogar die Äußerungen notorisch wortschatzlahmer Fußballtrainer mit diesem Adjektiv geadelt - oder persifliert - werden).
Fazit
Wer „kluge Wörter“ benutzt, muss selbst nicht klug sein, sollte aber um die Bedeutung bestimmter Begriffe wissen, um sie aneignen zu können. Jenseits solchen Missbrauchs erfährt man in diesem Buch, woher jene Wörter kommen, auf die wir dort stoßen, wo es „gelehrt“ oder wenigstens „wichtig“ zugehen soll. Dass Sprache kein staubiges Faktengrab für ebensolche Spezialisten ist, sondern ‚lebt‘ und über eine eigene Historie verfügt, weiß der Verfasser ebenso konzentriert wie lebendig zu vermitteln.
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