Karl V.

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Lea Gerstenberger
8101

Sachbuch-Couch Rezension vonApr 2020

Wissen

Die Ausführungen sind dicht mit Quellen und Sekundärliteratur belegt und in verständlichem Stil geschildert. Schilling betrachtet den Kaiser differenziert und verschweigt auch nicht, wo Deutung und Interpretation Grenzen gesetzt sind. Die Biografie ist dennoch kein Einstiegswerk - etwas Grundlagenwissen über Zeit und Zeitgenossen sollten die Leser mitbringen.

Ausstattung

Der Text ist gut gegliedert und wird bisweilen von Bildern aufgelockert. Im Anhang befinden sich neben dem ausführlichen Literaturappart noch eine nützliche Genealogie und Kartenmaterial.

Das Gewissen einer Herrscherfigur

Karl V. steht wie vielleicht kein anderer europäischer Herrscher für den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit: Im Jahr 1500 geboren, war er als Kaiser eines Weltreiches bald in nahezu alle Geschicke der frühen Staatenbildung und die Verwerfungen seiner Epoche eingebunden. Und doch (oder gerade deshalb) konnte er nicht verhindern, dass ihm seine Vision eines christlichen Universalkaisertums unter den Fingern zerrann – die Einheitsidee ging in Hegemonial- und Konfessionskriegen unter. Das ist der Leitfaden der Biographie über den „Kaiser, dem die Welt zerbrach“.

Dabei Karls Schlüsselrolle in der Weltgeschichte gar nicht geplant, sondern einer Reihe von Todesfällen geschuldet, die auch die sorgfältigste Ehepolitik nicht vorhersehen konnte. So erbte er Kastilien, Aragón, Burgund und die österreichischen Erblande und konnte sich zudem das römisch-deutsche Kaisertum sichern. Schilling widerspricht der Theorie, er hätte sich die Wahl mit der Finanzkraft des Handelshauses Fugger erkauft; vielmehr sei sie das Resultat wirksamer Propaganda und zäher Verhandlungen gewesen. Die Herrschaft über eine Vielzahl an Territorien wurde fortan praktisch als Familienunternehmen geführt. Viele der an sein Herrschaftsverständnis geknüpften Visionen konnte er jedoch angesichts einer immer komplexer werdenden Realpolitik nie verwirklichen.

Instabilität innen wie außen

Die einzelnen Kapitel widmen sich den verschiedenen Stationen und Schwerpunkten von Karls Leben und seiner Politik und zeigen dabei auf, welchen Herausforderungen er sich gegenübersah. Die weitaus größte Rolle spielte die Religion in einem heute kaum mehr vorstellbaren Maß. Nicht nur die persönliche Frömmigkeit, sondern auch das Verständnis für seine gottgegebene Herrscherrolle prägten Karls Denken und Handeln ein Leben lang. Entsprechend schwierig gestaltete sich jeder Versöhnungsversuch mit den Protestanten. Dass er die christliche Einheit nicht bewahren konnte, wird er womöglich als sein größtes Versagen angesehen haben.

Immer wieder muss Karls Handeln angesichts des Widerspruchs von persönlichen Herrscher- und Reichsinteressen bewertet werden, müssen machtpolitische und religiöse Gesichtspunkte und auch die kulturellen Besonderheiten einzelner Territorien in den Blick genommen werden. Ob es das Ringen um die Glaubensfrage, der Hegemonialstreit mit Franz I. von Frankreich, der Kampf gegen die Osmanen oder die humanitäre Frage des Umgangs mit den Einwohnern Südamerikas ist, stets betrachtet Schilling die Motive und Überlegungen des Kaisers, so gut sie sich aus den Quellen rekonstruieren lassen. Immer wieder kommt Karl selbst in Briefen zu Wort, ebenso wie seine Mitmenschen und sein Umfeld. Neben der Politik findet immer wieder auch die Alltagsgeschichte Erwähnung – das Hofzeremoniell, das von Karl geförderte Postwesen oder die Beschwerlichkeit der Reisen zur damaligen Zeit.

Die Machtlosigkeit eines Mächtigen

Geprägt war Karls Herrschaft (oder besser: seine Herrschaften) vor allem von Zerrissenheit persönlicher und politischer Natur, sodass sich der Leser irgendwann fragt, ob er das Zerbrechen seiner Welt überhaupt hätte verhindern können. Zu viele Einzelinteressen, Weltbilder und Unwägbarkeiten hätte er versöhnen müssen. So ist es den vielen Umbrüchen der Zeit noch hinzuzufügen, dass Karl V. bis zur Auflösung des Heiligen Römischen Reichs 1806 der einzige Kaiser bleiben sollte, der abdankte und sich demütig in die Ruhe seiner privaten Religionsausübung zurückzog – jedoch nicht, ohne sich weiterhin über die politischen Geschicke seiner Dynastie unterrichten zu lassen.

Schilling schließt mit einem sehr aktuellen Gedanken: Zwar könne Karl weder als Vordenker der modernen Europa-Idee verstanden, noch die damalige Situation mit der heutigen verglichen werden. Aus seinen Erfahrungen und den Gründen für sein Scheitern allerdings könne man auch im demokratischen Einigungsprozess der Gegenwart seine Lehren ziehen.

Fazit:

Trotz seiner welthistorischen Bedeutung lässt sich die Persönlichkeit Karls V. nur schwer greifen, was gleichermaßen der dünnen Quellenlage in Bezug auf persönliche Äußerungen und der dicken Patina der symbolischen Vereinnahmung geschuldet ist. Heinz Schilling unternimmt auf behutsame und angebrachte Weise den Versuch, Karls Charakter und sein Gewissen zu ergründen. Damit ist seine Darstellung glaubwürdig, ohne sich allzu psychologisierende Schlüsse anzumaßen. Karl V. war in jeder Hinsicht eingebettet in seine bewegungsreiche Zeit. Schillings Biografie nähert sich dem Kaiser mit großem Verständnis.

Karl V.

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