Jahrhundertverbrechen

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Marcel Zenk
9101

Sachbuch-Couch Rezension vonMai 2024

Wissen

Das Buch ist kein typisches „Wissens – Buch“. Es vermittelt jedoch den Zeitgeist von Kriminalfällen, die unvergessen sind.

Ausstattung

Ausgestattet mit zahlreichen Interviews und Erfahrungsberichten ist das Buch unabkömmlich für jeden, der sich für True – Crime interessiert.

Mehr als nur True–Crime.

Opfer sind gut und Täter böse, am Ende wird der Mordfall aufgeklärt und der Täter bekommt seine gerechte Strafe. Das ist das Ende eines typischen Fernsehkrimis. Was bei einem gewöhnlichen Fernsehkrimi nicht wirklich herüberkommt ist der Schaden, der den Opfern und ihren Angehörigen zugefügt wurde. Aber auch die Beweggründe und die Lebensgeschichte von Tätern bleiben meist nur angedeutet. Das Buch des Journalisten und Autors André Groenewoud wagt sich an diese Themen heran und betrachtet Kriminalfälle aus dem ganz persönlichen Blickwinkel der Opfer und Täter.

Groenewoud erschafft etwas Einzigartiges 

In diesem Buch finden Sie Interviews mit Opfern und Tätern, sowie genaue Hintergrundinformationen zu zwölf der spektakulärsten Verbrechen der Welt, die auch Deutschland in Atem gehalten haben. Groenewoud versucht bei seinen Schilderungen neutral zu bleiben und schreibt nüchtern und sachlich. Seine Stärke liegt auch darin, dass er in Interviews genau die richtigen Fragen stellt. Der Autor berichtete in seiner Laufbahn weltweit über Kriminalfälle, präsentiert im Buch Detailinfos und beschreibt auch die Stimmung in der Gesellschaft und deren Resonanz auf die Kriminalfälle.

RAF, Vietnam, Paris und viele mehr

Bei den Recherchen zu diesem Buch traf sich Groenewoud mit der heute 73-jährigen Silke Maier–Witt, ehemals Mitglied der RAF. Sie schrieb das Vorwort zu diesem Buch: „Ich fühlte eine moralische Pflicht, ihm Auskunft zu geben.“ Über Groenewoud schrieb sie: „Er wertet nicht und macht sich nicht gemein mit Opfern und Tätern. Auch mir gegenüber war er unvoreingenommen.“

Zu den Kriminalfällen in diesem Buch gehören u.a. das Geiseldrama von Gladbeck, das Massaker von My Lai in Vietnam und die Terroranschläge von Paris 2015.

Was empfindet der leitende Wachmann des Foltergefängnisses der Roten Khmer in Kambodscha? Mit vielen berührenden Schicksalen beschäftigt sich der Autor auf seine einfühlsame Art und Weise.

„2018 begleite ich eine Gruppe von ehemaligen US – Soldaten durch Vietnam. Es sind Tage, die sie nie wieder vergessen werden. Tage, an denen sie mit Tränen zu kämpfen haben, ihnen die Stimme bricht, sie stumm und gedankenverloren in die Leere starren.“

Besonders bewegend empfand ich die Erzählungen der Opfer des Massakers von My Lai. Die Vietnamesin Kim Phuc. Sie war das nackte schreiende Mädchen auf dem später berühmt gewordenen Foto. Während des Vietnamkrieges erlitt das damals neunjährige Mädchen am 08. Juni 1972 bei einem Angriff amerikanischer Truppen mit Napalmbomben schwere Verbrennungen. In einem emotionalen Interview–Ausschnitt schildert sie ihre Erlebnisse von damals und wie sie den Angriff überlebte, obwohl ihre Haut zu 50 % verbrannt war. Im Jahr 2018 begleitete Groenewoud eine Gruppe von ehemaligen US – Soldaten durch Vietnam. Die Beschreibungen über das Treffen mit ehemaligen vietnamesischen Veteranen sind atemberaubend. Ein ehemaliger GI, der damals in das Massaker involviert war, schildert seine Erinnerungen auf eine Art und Weise, dass einem die Spucke wegbleibt.

Fazit

Groenewoud ist ein Werk gelungen, das einprägsam und bewegend ist. Hier kommen Opfer und Täter zu Wort: Es offenbart sich, was Menschen einander antun und wann Menschen vergeben können. Leser, die eine Faszination für „True – Crime“ mitbringen, werden mehr bekommen als sie erwartet haben.

Jahrhundertverbrechen

André Groenewoud, Topicus

Jahrhundertverbrechen

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