Inside Signa

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Michael Drewniok
8101

Sachbuch-Couch Rezension vonJan 2025

Wissen

Schon kurz nach dem Ende des Benko-Imperiums erfolgte diese überblickartige, aber detailreich recherchierte Aufarbeitung des Skandals.

Ausstattung

Die ‚Ausstattung‘ beschränkt sich auf den Text, doch der hat es in sich!

Reich = gierig, aber nicht klug.

Ende November 2023 meldete das in Österreich ansässige Immobilienunternehmen „Signa Holding“ Insolvenz an. Es folgten die Tochtergesellschaften, und im März 2024 wurde ein Konkursverfahren gegen René Belko, den „Signa“-Kopf und -Gründer eröffnet. Parallel dazu ermitteln gleich mehrere Staatsanwälte wegen des Verdachts auf Betrug, Geldwäsche u. a. schwerer Delikte: Damit endete nach der Wirecard-Implosion und weiteren Skandalpleiten der jüngsten Vergangenheit eine weitere Erfolgsgeschichte, die einfach zu schön war, um wahr zu sein.

Mehr als zwei Jahrzehnte hatte Benko weltweit millionen- und milliardenschwere Investoren in das Netz seines undurchsichtig verschachtelten Unternehmenskonstrukts gelockt, zwischen dessen Fäden nur er sich zurechtfand. Solange der Rubel rollte und besagte Investoren mit satten Dividenden rechnen durften, funktionierte das Spiel. Dann änderten sich die Regeln, und das Benko-System - finanzielle Bilanzlöcher wurden mit ‚frischem‘ Geld gefüllt - saß auf dem Trockenen, brach zusammen und bewies denen, die stets auf seine Fragwürdigkeit hingewiesen hatten, dass hier tatsächlich auf allerhöchstem Niveau getrickst worden war.

Das Journalistenduo Rainer Fleckl und Sebastian Reinhart gehört zu denen, die schon lange skeptisch waren und das Benko-Gespinst entwirren wollten. Auf der Basis umfangreicher Vorabrecherchen konnten sie schon einen Monat nach der Benko-Pleite dieses Buch vorlegen. Es handelt sich um einen ersten Überblick, aber nicht um einen Schnellschuss. Die Autoren informieren nicht nur über einen saftigen Skandal, sondern führen in ein für Laien komplexes Thema ein. Wie funktioniert modernes „big business“, und ist dieser Begriff heute vor allem eine Umschreibung ‚dort oben‘ üblicher Betrugspraktiken, die mit Hilfe teuer bezahlter Lobbyisten und Anwälte dank einfallsreich verbuchter Geldzahlungen über Jahre laufen können?

Abkürzung statt Lauf über die Normaldistanz

Natürlich sind im Nachhinein alle klüger. So hätte der vorurteilsfreie bzw. nüchterne Blick auf die Vorgeschichte des ‚Genies‘ René Benko eine Warnung sein können. Fleckl & Reinhart rollen sie auf und entzaubern dabei das gern geglaubte Narrativ vom ‚Wunderkind‘, das mit einer geheimnisvoll-unfehlbaren Witterung für das ‚große Geld‘ geboren wurde, die Schule oder eine Ausbildung, die es mit den komplexen, aber elementaren Gesetzen und Regeln des Handels mit Geld vertraut gemacht hätte, deshalb ignorieren und stattdessen die Finanzwelt nach eigenem Gusto lenken und führen konnte.

Erstaunlicherweise gelang dies für einige Zeit und ermöglichte Benko schon in jungen Jahren einen Aufstieg dort, wo „Geschäfte“ gemacht werden; die Anführungsstriche verweisen darauf, dass „big business“ keineswegs auf Genialität und Wissen basieren muss, sondern durch Täuschung, Skrupellosigkeit und Wunschdenken dominiert werden kann. Es sind nicht zwangsläufig intelligente, sondern gierige Zeitgenossen, die hier aktiv sind. Während sie raffen, werden sie von ebenso rücksichtsfreien Zockern wie Benko mit lockenden Angeboten, die an ihr Ego als Finanzmagnaten appellieren, in die Falle gelockt und ausgenommen.

Menschen, die den Hals nicht voll genug bekommen, haben durch Benko viel Geld verloren. Das schmerzt sie, schadet ihnen aber nicht wirklich, da sie oft so unfassbar reich sind, dass selbst Verluste in neunstelliger Zahlenhöhe verkraftet werden können. Schlimm sind solche Manipulationen für jene, die über keine finanziellen Reserven verfügen, auf windige Investitionsangebote hereinfallen oder hilflos als Mitarbeiter der günstig aufgekauften Unternehmen der neuen Leitung ausgeliefert sind. Im Fall Benko sei an die gleich mehrfach im Stich gelassenen Männer und Frauen der Galeria-Kaufhof-Warenhauskette erinnert, die vom Finanz-Abenteurer Benko gekauft, aber nicht saniert wurde, weshalb die meisten Mitarbeiter/innen ihre Jobs verloren.

Auf der Spur des (verschobenen) Geldes

Fleckl & Reinhart rekonstruieren, wie Benko aufgrund seines Verkaufstalents und als genialer Networker, der ähnlich gierige Mitstreiter an sich band und für sich trügen ließ, ein scheinbar solides Immobilien-Imperium aufbaute, dem er sich ständig neue Nobel-Adressen einverleibte. Wie so oft wurde der Bogen überspannt. Nach 2010 versuchte sich Benko zusätzlich im Handelsgeschäft, wobei ausnahmslos jedes großartig angekündigte Geschäft kläglich scheiterte. Milliarden wurden verbrannt, die so lange durch Neu-Investoren ersetzt wurden, bis irgendwann (= spätestens 2023) selbst der dümmste Geldsack begriff, dass Benkos Imperium eine Nullnummer war.

Die Autoren nennen namentlich Rösser und Reiter, wenn sie auf das Benko-Geflecht höriger Einbläser verweisen. Vor allem aktive, aber auch ehemalige Mitglieder der österreichischen Regierung fanden bei Benko ein finanziell gut gepolstertes Nest, wenn sie ihre Kontakte zum Wohle des neuen Arbeitgebers spielen ließen. Selbst der ehemalige Bundeskanzler und politisch ähnlich hoch gestellte Amtsträger folgten dem Ruf des großen Geldes, das sie sich als ‚Berater‘ hemmungslos auszahlen ließen. Da er mit seinen Machenschaften durchkam, wurde Benko immer dreister, versuchte Einfluss auf die Tagespolitik zu nehmen und kaufte sich schließlich bei den Tageszeitungen „Kurier“ und „Kronen Zeitung“ ein, um deren aus seiner Sicht schädliche, weil für ihn unerfreuliche Wahrheiten an Licht bringende Berichterstattung zu ersticken und eine ihm gewogene Medienlandschaft zu schaffen.

Hinzu kam eine ‚Finanzpolitik‘, die darin bestand, Gelder innerhalb des absichtlich verschlungenen Benko-Imperiums hin- und herzuschieben, um so die Finanzkraft von Tochterunternehmen oder Stiftungen vorzutäuschen. Luftbuchungen, Kredite, mit denen ältere Kredite bedient wurden, abspringende Investoren, die auf Auszahlung bestanden: Lange konnte Benko sich auf diesem Karussell halten, bis es sich letztlich so schnell drehte, dass auch er abgeworfen wurde - ein Niedergang, den Fleckl & Reinhart nüchtern, aber hochspannend nachzeichnen: Hier sprechen die Fakten eine überzeugende Sprache!

Das dicke Ende kommt noch

Selbstverständlich sieht die „Signa“-Führungsriege (und erst recht René Benko) die Schuld am Untergang des Imperiums nicht bei sich, sondern bei düster herbeigemunkelten ‚Feinden‘ aus Politik, Hochfinanz, Justiz und Medien, die sich zusammengeschlossen haben, um eine unliebsam gewordene Konkurrenz auszuschalten. Der gefallene Superstar der Globalökonomie versteckt sich hinter einer Armada teurer Anwälte, seinen luxuriösen Lebensstil weiß er, der offiziell mittellos ist, aufrechtzuerhalten. Ob es ihm auf Dauer gelingen wird, sich dem Gesetz zu entziehen, das gleich mit mehreren Fangarmen nach ihm greift, wird sich herausstellen. Sicher ist jedenfalls, dass Benko nicht kampflos aufgeben oder sich gar seiner Verantwortung stellen wird.

Die kalte Ignoranz menschlichen Anstands zieht sich durch die gesamte Lektüre. Man kommt sich als ‚normaler‘ Zeitgenosse dumm und hilflos vor, wenn man liest, wie die Superreichen und Mächtigen jenseits geschriebener Gesetze und jeglicher Moral agieren und ihre Mitmenschen mehrheitlich als Ameisen sehen, die man nach Belieben treiben oder zertreten kann. Längst stehen Politiker auf den Lohnlisten entfesselter ‚Geschäftsleute‘, Bänker u. a. Finanzhändler, die ausschließlich den eigenen Nutzen im Sinn haben. Benko besaß palastähnliche Wohnstätten, eine prunkvolle Jacht, eine mit großen Namen gespickte Kunstsammlung und andere ‚Beweise‘ seines Erfolgs. Er reiste mit dem eigenen Jet oder im Hubschrauber, tourte unermüdlich um die Welt, feierte rauschende Feste, die wiederum der Kundenakquise dienten. Entstanden ist ein Mechanismus, der wenige Gewinner, aber unzählige Verlierer produzierte.

Fleckl & Reinhart enthalten sich in der Regel eines Urteils und lassen die Tatsachen sprechen. Manchmal können sie jedoch ihre Erschütterung nicht verhehlen, wenn wieder einmal Machenschaften aufgedeckt werden, die offensichtlich unkontrolliert umgesetzt wurden, weil Menschen in hohen Stellungen wegsahen oder sich bezahlen ließen. Es gibt keinerlei Sicherheit, dass sich ein solcher Betrug nicht wiederholen wird. Im Gegenteil kann man von Finanzhaien ausgehen, die hier und jetzt Geld veruntreuen, aber (noch?) nicht erwischt wurden. Zur Faszination gesellt sich deshalb nach der Lektüre eine nur zu berechtigte Niedergeschlagenheit.

Fazit

Einmal mehr wurde ein in den Himmel gehobenes ‚Finanzgenie‘ des jahrelangen Betrugs überführt. Die Zeichen standen lange am Himmel, wurden aber ignoriert oder vertuscht, um weiterzumachen und Geldschaden in Milliardenhöhe anzurichten; die Zeche geht wohl an den Steuerzahler: eine nüchterne, knappe, aber überzeugende, realspannende (und traurig stimmende) Analyse.

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