Fast schon poetisch mutet dieses Sachbuch an
Fische sind taub, verspüren keine Schmerzen und sind dumm – diese und weitere Vorurteile werden den meisten von uns im Kopf rumspuken. Dank Fischstäbchen, Thunfisch aus der Dose und Matjesbrötchen haben wir ein abnormales Verhältnis zu Fischen entwickelt. Dass in ihnen viel mehr steckt, als wir bisher angenommen haben, verrät dieses Buch.
„Der heutige Mensch kommt mit Fisch meist nur noch in Kontakt, wenn dieser längst tot und ohne Kopf, Flossen, innere Organe und Gräten sorgsam in Kunststoff verpackt oder sauber in einer Dose eingeschweißt ist.“
Fische sind die wahren Herrscher über die Ozeane, Seen und Flüsse dieser Welt. Jeden noch so kleinen, unwirtlichen Lebensraum haben die nassen Gesellen erobert: von winzigen Tümpeln, die periodisch austrocknen, über warme Quellen im Death Valley bis hin zur Tiefsee der ozeanischen Gräben. Mit weit über 30.000 Arten sind sie die formenreichste Wirbeltiergruppe – und dennoch hört bei so manchen das Wissen bei Thunfisch, Hering und Lachs auf. Dass die Familie der Lachse alleine über 200 Arten zählt, verdeutlicht die kleindimensionale Vorstellung, die wir von Fischen haben.
Helen Scales ist Meeresbiologin und hat das Privileg, überall auf der Welt nach Fischen tauchen zu dürfen. Dabei durfte sie beeindruckenden Naturschauspielen beiwohnen, erschreckende Verbrechen an Ökosystemen beobachten und selbst im Namen des Naturschutzes tätig werden. Dadurch kamen zahlreiche Anekdoten zusammen, die sie mit Witz, Charme und Begeisterung zu erzählen weiß. In den warmen Gewässern der Fidschi-Inseln konnte sie beispielsweise mit den Manta-Rochen tauchen (Mantas gehören wie die Haie zu den Knorpelfischen) und sie grazile Pirouetten drehen sehen, während sie das Plankton aus dem Wasser filterten.
Dieses Buch macht eines klar: Ein Umdenken ist nötig
Wir Menschen sind noch immer sehr anthropozentrisch, bewerten unsere Umwelt nach unseren Maßstäben. Fische, die uns so unähnlich sind und gar nicht in unsere terrestrisch betrachtete Welt passen, werden daher noch immer als niedere Wesen angesehen. Dabei haben wir lange Zeit verpasst, sie wirklich auf ihrer Ebene zu lesen und zu verstehen. Erst in jüngster Zeit kamen Wissenschaftler auf die Idee, ihre Umwelt mit ihren Augen zu sehen, und auf einmal bot sich eine Welt der Geräusche (Fische grunzen, brüllen, bellen, zwitschern …) und Farben (viele Fische kommunizieren außerhalb des sichtbaren Spektrums). Es zeigten sich lernfähige Putzerfische, zählende Guppys oder stressanfällige Zebrafische. Das Kapitel „Fische (neu) denken“ baut noch viel weiter aus, das jedem klar gemacht werden sollte: Fische sind in jeder Art und Weise vielfältig.
Insgesamt 10 Kapitel beschäftigen sich mit unterschiedlichen Themen: etwa der Giftigkeit von Fischen oder wie sich verschiedene Arten ernähren oder wie manche im Dunkeln leuchten. Zusätzlich gibt es am Ende jedes Kapitels eine kleine Geschichte aus Märchen, Folkloren und Legenden weltweit. Diese kurzen Exkursionen machen klar, welche Bedeutung Fische für die Menschheit seit jeher haben. Sie sind nicht nur Nahrung für viele, sondern spielen auch eine Rolle in Religionen und Mythen. Auch zum Anfang jedes Kapitels bietet sich eine kleine Überraschung: Ganzseitige schwarzweiße Illustrationen bieten einen Vorgeschmack auf den folgenden Inhalt und überzeugen mit ihren harmonischen Abbildungen.
Fazit
Helen Scales hat es sich zur Aufgabe gemacht, Vorurteile gegenüber Fischen auszuräumen. Mit Im Auge des Schwarms hat sie eine perfekt austarierte Liebeserklärung geschrieben, die ein neues Bild auf die nassen Gesellen wirft. Perfekt in Szene gesetzt mit Illustrationen, Anekdoten und Märchen punktet es in jeder Hinsicht.
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