Ich hole mir mein Leben zurück
- Klett-Cotta
- Erschienen: September 2019
- 4
Praxisbuch – von wegen!
Ingrid J. Dautel arbeitet seit 35 Jahren als Familientherapeutin und Mediatorin, sie leitet Fortbildungsgruppen und mehrgenerationale Selbsterfahrungsgruppen. Von den Erfahrungen mit diesen oft langjährig bestehenden Gruppen berichtet sie in dem vorliegenden Buch.
Das Ungelöste wird über Generationen weitergetragen
Die Kriegs- und Nachkriegszeit waren Epochen, die geprägt waren von Gewalt, Verlusten, Tod, Vertreibung, Hunger und Elend. Die erlittenen Traumata hatten nicht nur Auswirkungen auf die direkt Betroffenen, sondern auch auf die nachfolgenden Generationen. Nachkriegskinder, Kriegsenkel und manchmal auch deren Kinder können noch heute bewusst oder unbewusst unter dem, oft nicht selbst Erlebten leiden. Dautel gibt zahlreiche Beispiele aus den Selbsterfahrungsgruppen. Sie zeigt die unterschiedlichen Traumata und die Möglichkeiten der unbewussten Übernahme durch die nachfolgenden Generationen. Im nächsten Schritt sollen dem Leser Methoden der Erkennung und der Ablösung dieser übernommenen Muster an die Hand gegeben werden, um den persönlichen Weg und das individuelle Ich zu erkennen und mit dieser Erkenntnis Einfluss auf das eigene und das gesellschaftliche Leben zu nehmen.
Dautel wird ihrem Anspruch nicht gerecht
Die Autorin hat, wie sie in dem eingangs des Buches wiedergegebenen Interview sagt, den Anspruch die Sachverhalte praxisbezogen und leicht verständlich zu erklären, um den Lesern Hilfe zur Selbsthilfe an die Hand zu geben. Das ist ihr leider nicht gelungen, wenn man davon ausgeht, dass nicht jeder Leser Psychologe ist. Sie ergeht sich in Quervermerken, Zitaten und Fachwörtern (z.B. S. 124) und erstickt so ganz schnell den Willen, als Laie tiefer in die Materie einzudringen. Ganz zu schweigen von der Möglichkeit zur Selbsthilfe. Wer diesen wissenschaftlichen Exkurs versteht, ist schon so weit mit dem Thema bekannt, dass er keine Anleitung zum Ablösen der Probleme mehr braucht. Für einen Laien ist das Buch unter dieser Prämisse nahezu untauglich. Neben den Schwierigkeiten der Termini, kommt Dautel auch nie zum Kern. Sie gibt zahlreiche Beispiele von Traumata, auch aus den kriegsnachfolgenden Generationen, aber sie sagt nie, was genau zu tun ist, wenn man die dargestellten Verhaltensmuster an sich erkennt und sie loswerden will. Da helfen auch die abschließend aufgeführten Lebensläufe aus drei Generationen nichts, sind sie eben persönlich und nicht universell.
Fazit
Für die Lektüre des vorliegenden Buches bedarf es zweier Voraussetzungen: Der Leser muss bereit sein, tief in den Fachjargon der Psychologen einzutauchen und er muss, wie die Autorin selbst, davon ausgehen, dass sein ganzes Sein und Tun von den vorhergehenden Generationen geprägt ist. Nur dann kann man eventuell Nutzen aus diesem Buch ziehen. Allerdings fehlen brauchbare und explizite Ratschläge zur Selbsthilfe in meinen Augen völlig, da Traumata eben doch nicht allgemeingültig, sondern sehr individuell sind.
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