Kriegserklärung an die USA war der Höhepunkt von Hitlers politischer Karriere
Mit seiner “globalen” Biografie über Adolf Hitler hat Brendan Simms ein monumentales Werk vorgelegt. Aber vermutlich müssen Biografien über den braunen Diktator immer monumentale Werke sein, zu prägend war die Rolle des Weltkriegsgefreiten aus Braunau für die deutsche Geschichte - mit Auswirkungen auf die gesamte Welt.
Im Prolog macht Simms gleich seine Kernthese deutlich. Im Juli 1918 liefert der Gefreite Hitler zwei amerikanische Gefangene in einem Gefechtsstand ab. Hitler äußerte später, er sei überzeugt, dass diese Jungs die Nachkommen deutscher Auswanderer waren, die dem Vaterland wegen mangelnden Lebensraums verloren gegangen waren. In späteren Reden sei der Diktator mehrfach auf diesen Augenblick im Sommer 1918 zu sprechen gekommen. Simms ist überzeugt, dass damals Hitlers Besessenheit von Deutschlands demographischer Schwäche begonnen hat, die nur durch neuen Lebensraum im Osten hätte behoben werden können. Ebenso begannen damals der Respekt und die Furcht vor den angelsächsischen Mächten mit ihren scheinbar unbegrenzten Ressourcen.
Als guter Biograph schildert der Autor dann zunächst den Weg Hitlers in die Politik, die Putsch-artige Übernahme der Führung der NSDAP im Juli 1921, und den weiteren Aufstieg des begnadeten Demagogen. Hitler fabuliert zunehmend von einer Allianz von Weltjudentum, Wallstreet, internationalem Kapitalismus und Anglo-Amerika. Für Simms ist ganz klar: Hitler wurde zum Feind der Juden, bevor er zum Gegner der russischen Bolschewisten wurde.
Der Autor arbeitet aus zahlreichen Reden, Aufsätzen und Interviews von Hitler akribisch heraus, dass die Auswanderung der vergangenen Jahrhunderte nach Amerika sein großes Trauma war und bis zum Schluss geblieben ist. Wer aktuelle politische Bezüge möchte, der Begriff Bevölkerungsaustausch taucht damals ebenfalls schon auf. Dem Putschversuch von 1923 folgen dann die Verurteilung und die anschließende Festungshaft. Hitler hat viel Zeit zum Nachdenken und zu intensiver Korrespondenz. Er zeigt weiterhin großes Interesse an den USA, was sich auch beim Schreiben seines politischen Werks “Mein Kampf” ausdrückt.
Die zentrale Bedeutung des britischen Empires und der Vereinigten Staaten im Entstehungsprozess von “Mein Kampf” ist seit den ersten Notizen, die er im Juni 1924 niederschrieb, offensichtlich. Im Mittelpunkt dieser Notizen standen die Außenpolitik im Allgemeinen und Anglo-Amerika im Besonderen… Die Umrisse von Hitlers größter Sorge, die enorme Stärke der angelsächsischen Weltmächte, waren unverkennbar.
Adolf Hitler vertrat laut Simms die Auffassung, die Macht der Vereinigten Staaten von Amerika beruhe auf riesigem Land, das einem anderen Volk - den Ureinwohnern - geraubt wurde. Den ersten Weltkrieg betrachtete er als deutschen Bürgerkrieg zwischen Völkern gleichen Ursprungs. Dieses Ur-Trauma Hitlers liegt nach Meinung des Autors seiner späteren Politik zugrunde. Russland war daher für Hitler nicht so sehr der ideologische Feind, sondern eben in geopolitischer Hinsicht als künftiger Lebensraum interessant.
Immer wieder betonte Hitler im Laufe der Jahre, für wie überlegen er England und Amerika hielt, da sie über demographische und räumliche Möglichkeiten verfügten, die Deutschland in Mitteleuropa nicht hatte. Dabei bezog er die britischen Übersee-Besitzungen in sein Kalkül ein. Deshalb wurde er auch nicht müde zu sagen, dass er nichts gegen England und die USA habe, sondern Lebensraum im Osten gewinnen wolle. Rückblickend stellen viele Historiker sich immer wieder die Frage, ob diese Ausrichtung unterschätzt oder einfach ignoriert wurde? Eigentlich hätte die Welt wissen müssen, worauf die Politik der Nazis am Ende hinauslief. Auf diesen Teilaspekt gibt auch Brendan Simms keine Antwort.
Die Kriegserklärung an die Vereinigten Staaten war der Augenblick, auf den Hitlers gesamte Karriere hinausgelaufen war, obwohl er nach eigener Ansicht alles versucht hatte, um ihn zu vermeiden oder wenigstens hinauszuzögern. Was ihn in den Krieg mit dem mächtigsten Staat der Welt trieb, war weder Ignoranz noch Unbekümmertheit, sondern die Überzeugung, dass die Konfrontation früher oder später unausweichlich war. Die Kriegserklärung an die Vereinigten Staaten sollte seine einzige offizielle Kriegserklärung bleiben.
Die Widersprüchlichkeit in Hitlers Denken und Handeln wird von Brendan Simmons gut herausgearbeitet. Aber der Historiker ist auch überzeugt, dass viele Äußerungen des Diktators - vor allem nach der Machtübernahme durch die NSDAP - taktisch geprägt waren. Zunächst ging es darum, die Macht zu festigen. Dann um die Beschwichtigung des Auslands, damit Deutschland so weit aufrüsten konnte, um einen Krieg zu bestehen.
Den Angriff auf Russland erklärt Simms nicht nur mit den Lebensraum-Plänen im Osten, sondern auch mit der Absicht Hitlers, den Anglo-Amerikanern damit einen Bündnispartner zu nehmen. Er war offenbar überzeugt, nach der Niederwerfung Russlands mit dem Westen in Friedensverhandlungen eintreten zu können, weil die USA und England nach einer Niederlage der UdSSR demoralisiert wären. Eine Ironie der Geschichte war dabei übrigens die Tatsache, dass es gar nicht genug Deutsche gab, um die zeitweise eroberten Gebiete zu besiedeln.
Nachdem die katastrophale Niederlage der 6. Armee in Stalingrad den körperlichen Verfall des Diktators eingeleitet hatte, flüchtete er sich in immer abstrusere Lügen. Intern sprach er stets davon, dass der Hauptkampf nicht gegen den Bolschewismus geführt werde, sondern gegen den westlichen, plutokratischen, internationalen Kapitalismus - geführt von den Finanzjuden in der Wallstreet. Der deutschen Bevölkerung war dieser Irrsinn zu dem Zeitpunkt schon längst nicht mehr zu vermitteln, auch das macht Simms deutlich.
Ich habe nicht gezählt, aber der Autor listet in seiner Einleitung selbst eine enorme Zahl an Biografien über Adolf Hitler auf. Warum also noch eine weitere schreiben oder lesen? Brendan Simms nennt sein Werk eine “globale Biografie”, und die Bezeichnung erklärt sich aus seiner wissenschaftlichen Kernthese. Er leitet ausführlich und mit reichlich Material belegt seine Überzeugung her, dass Hitler die nationalsozialistische Ideologie von Beginn an auf den Kampf gegen Amerika und auch gegen England ausgerichtet hat. Das implizierte für ihn auch den Kampf gegen “die” Juden - was schließlich im Versuch der kompletten physischen Vernichtung mündete.
Fazit:
Eine überaus spannende Biografie, selbst für Leser, die sich schon eingehend mit Hitler und dem Nationalsozialismus beschäftigt haben.
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