Reisebericht aus einem Staat im Wandel.
Nadine Pungs hat ein Faible für die Staaten im Nahen Osten und eins für das Alleinreisen. Als Frau in diesen Ländern nicht gerade üblich und manchmal auch nicht ganz problemlos. Doch Prungs hat Mut und sich schon zahlreiche arabische Länder angesehen, u.a. auch den Iran. Jetzt bereist sie bereits zum zweiten Mal Saudi-Arabien und das gleich monatelang.
Ein Staat im Umbruch
Saudi-Arabien war für Nicht-Muslime lange ein fast weißer Fleck auf der Landkarte. Nur wenige Visa für Geschäftsreisende wurden ausgestellt, Touristen hatten gar keine Chance - bis 2019. Ende dieses Jahres reformierte Kronprinz Mohammed bin Salman (MbS) auch dieses Detail, wie so vieles mehr. Er hat die „Vision 2030“, d.h., er will bis 2030 Saudi-Arabien zu einem weltoffenen Staat umformen, der quasi alles bisher fest Verankerte auf links dreht und Saudi-Arabien neu ausrichtet. Dazu gehören natürlich auch die Rechte der Frauen, die seit einigen Jahren zunehmen und Frauen mehr Freiheiten und Möglichkeiten bieten. Gleichzeitig ist Saudi-Arabien mit Mekka und Medina, den beiden hochrangigsten Städten des Islam, immer noch ein wichtiges Land für Muslime. Und es gibt immer noch die Todes- und andere drakonische Strafen. Alleine im Dezember 2023 wurden 38 Menschen hingerichtet.
Allein unterwegs
Bereits 2019 bereiste Nadine Pungs Saudi-Arabien. 21 Tage blieb sie damals. 2023 sollen es mehrere Monate sein. Über diese Reise berichtet sie im vorliegenden Buch. Doch es ist „kein Reiseführer“, sondern „eher ein Notizheft“. Durch ihre ganz eigenen Erfahrungen und Begegnungen ermöglicht Pungs einen subjektiven Einblick in die Gesellschaft Saudi-Arabiens. Sie reist quer durch das große Land, besucht auch Regionen, die als noch immer sehr streng gläubig gelten oder sehr nahe an der Grenze zum Jemen liegen. Sie wohnt in großen Städten und in kleinen Orten und scheut sich nie, Kontakt zur Bevölkerung aufzunehmen. Begleitet wird ihr Bericht durch eine Landkarte in der Coverinnenseite und durch zahlreiche Fotos.
Probleme und Möglichkeiten
Pungs gibt ihre Reise chronologisch wieder. Durch ihre Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen werden die unglaublichen Veränderungen, aber auch die immer noch bestehenden Probleme deutlich. Sie erzählt u.a. von dem schwierigen Zusammenleben von Suniten und der schiitischen Minderheit, von dem kargen Leben der Gastarbeiter und von dem Problem, welches in jedem arabischen Land existiert: Männern fehlt das Geld für eine Hochzeit. Anders als bei uns, muss die Feier natürlich groß und prächtig ausfallen, dann erhalten Braut und Brautmutter meist kostbare Geschenke und die, meist gesalzene, Morgengabe muss auch noch bezahlt werden. Pungs erzählt aber vor allem von den, für ihre Verhältnisse, unglaublichen Möglichkeiten, die Frauen jetzt haben. Sie dürfen z.B. Auto fahren, einen Beruf auch ohne die Zustimmung des männlichen Vormundes ausüben, sie dürfen sich scheiden lassen und vieles mehr. Das hat die Gesellschaft verändert – auch sichtbar, denn die strikten Kleidervorschriften existieren auch nicht mehr und die Sittenpolizei ist fast arbeitslos. Pungs hat meist mit jungen Menschen und dazu meist mit Frauen Kontakt. Deren Sicht der Dinge ist vielfältig, was manchmal auch an der Region liegt, in der sie leben. Pungs schafft es, wenn auch auf subjektive Weise, die gesellschaftliche Lage in Saudi-Arabien wiederzugeben, wobei mir allerdings die Sicht älterer Menschen etwas gefehlt hat. Ich könnte mir vorstellen, dass es hier vielleicht etwas anders aussieht mit der Akzeptanz von umwerfenden Änderungen, selbst wenn die alten Traditionen immer noch weitgehend gewahrt werden.
Kein trockener Bericht
Was ein staubtrockener Bericht hätte werden können, ist ein gelungenes Buch geworden. Pungs berichtet mit sehr viel Humor und macht damit jede Begegnung zu einem interessanten Treffen. Sie erzählt Geschichten, die man nur erlebt, wenn man mit Saudis wirklich lebt. Dann öffnen sich die Menschen und man erfährt Sachen, die nie öffentlich besprochen würden, weil man einfach gesellschaftlich anecken würde. Pungs gibt Einblicke in die sonst so abgeschlossene Sphäre der privaten Räume einer Familie wieder und erzählt auch von den Widersprüchen, die automatisch entstehen, wenn ein Kronprinz den Staat und seine Gesellschaft eine komplett andere Ausrichtung gibt. Leider gibt Pungs nur sehr wenige geschichtliche Hintergründe wieder, sodass eine gewisse Grundkenntnis über Saudi-Arabien zum Verständnis nicht schlecht ist.
Fazit
Ein sehr lebendiger und humorvoller Bericht über den gesellschaftlichen Wandel, den Saudi-Arabien durchmacht. Während der arabische Frühling in anderen Staaten ganz schnell in einen Herbst der Ernüchterung überging, passiert in Saudi-Arabien sehr viel. Wer sich dafür interessiert, erhält hier einen zwar subjektiven, aber auf jeden Fall interessanten Einblick.
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