Feuer der Freiheit

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Moritz Neufeld
8101

Sachbuch-Couch Rezension vonNov 2020

Wissen

Eilenberger lässt die vier Philosophinnen in einen fruchtbaren Dialog miteinander treten. Kenntnisreich vergleicht er Positionen und arbeitet pointiert Gemeinsamkeiten und Unterschiede heraus.

Ausstattung

Liest sich wie ein Episodenroman, den man ungern zur Seite legen mag. Die Struktur ist schlüssig, ein Abbildungsteil rundet das Werk ab. Titel und Untertitel geraten allzu plakativ.

Vier Denkerinnen im Streit über die Freiheit

Was bedeutet Freiheit? Diese Frage trieb vier sehr unterschiedliche Denkerinnen inmitten der turbulenten Jahre 1933-1943 um: Simone de Beauvoir, Hannah Arendt, Simone Weil und Ayn Rand. Wolfram Eilenberger lässt sie in einen streitbaren und spannenden Dialog miteinander treten. Klug und mitreißend verwebt er Leben, Denken und Schaffen der Philosophinnen zu einem regelrechten Pageturner. Allerdings: Bei aller Fulminanz tappt der Stil gelegentlich in die Pathos-Falle.

Die Welt ist in Aufruhr – wo steht der Mensch?

Jede auf ihre Weise, erleben die vier Denkerinnen, wie Europa und die Welt in eine besorgniserregende Richtung driften: Verrohung und Orientierungslosigkeit machen sich breit. Eilenberger hebt hervor, dass Rand, Arendt, de Beauvoir und Weil allesamt dieselbe Grundfrage umtreibt: Wie kann ich als Mensch in der Gesellschaft frei sein? Die Art und Weise, wie sie sich dieser Frage nähern, ist freilich sehr unterschiedlich. Ein skizzenhafter Überblick:

Simone de Beauvoir sieht die Freiheit im Selbstentwurf, ausgehend von der eigenen Existenz in der Welt. So entsteht der Existenzialismus, den sie gemeinsam mit ihrem Gefährten Jean-Paul Sartre in Paris prägt und in spannungsvollen Dreiecks- und Vierecksbeziehungen mit anderen Männern und Frauen auch auslebt.

Hannah Arendt hingegen stellt sich die Frage, wie es gelingen kann, als Jüdin und als Frau in doppelt unterdrückter Rolle in der Welt einen Platz zu finden. Antisemitismus und Totalitarismus stehen stets im Zentrum ihrer Beobachtungen, die sie als streitbare Philosophin stets kompromisslos äußert und verteidigt.

Simone Weil erlebt als äußerst sensible, extrem empathische Person all das Elend in der Welt besonders intensiv und zerbricht innerlich daran. Die Freiheit findet sie in der Transzendenz: Nach einem „Erleuchtungserlebnis“ wendet sie sich ganz Gott zu. Das Streben nach materiellem Wachstum lehnt sie ab, so wandelt sie sich von der linken Aktivistin zur Mystikerin.

Für Ayn Rand geht Freiheit radikal vom Individuum aus. Wohlfahrt und Altruismus lehnt sie ab – der Mensch müsse sich frei von allen anderen machen und gänzlich ichbezogen denken. Ihr literarischer Held: ein nietzscheanischer Übermensch, der den „American Dream“ lebt.

Philosophie, erzählt als Episodenroman

Diese vier sehr unterschiedlichen Zeitgenossinnen stellt Eilenberger einander episodenhaft gegenüber: In jedem der acht Kapitel erzählt er nacheinander, was die Philosophinnen zu unterschiedlichen Phasen und Zeiträumen taten, dachten und schrieben. Diese Erzählweise erzeugt einen mitreißenden Sog – man will immer wissen, wie es weitergeht. Dabei streut der Autor interessante und schlüssige Quervergleiche ein und lässt die vier Denkerinnen so in einen spannenden Widerstreit treten.

Mit übergeordneten Deutungen, etwa einem umfassenden Fazit oder Gesamtkonzept, hält sich Eilenberger zurück. Stattdessen baut er vier Positionen nebeneinander auf und zeichnet so ein Gesamtbild skizzenhaft auf, ohne es abschließend in einer festen Form auszuarbeiten. So bleibt der Leser mit der offenen Frage zurück, was es bedeutet, als Individuum in der Welt zu stehen und was man nun damit anfängt. Eilenberger formuliert das, für ihn nicht untypisch, auf sehr bildhafte Weise:

„Bin wirklich ich der Geisterfahrer auf der Autobahn des Lebens – oder nicht eher die Masse wild hupender Menschen, die mir einer nach dem anderen mit aufgeblendeten Lichtern entgegenkommen?“

Wird wirklich „die Philosophie gerettet“?

Der Titel des Buches „Feuer der Freiheit“ weckt einen Verdacht, der mit der Lektüre nicht immer, aber immer wieder bestätigt wird: Ein gewisser Hang zum plakativen Pathos lässt sich nicht bestreiten. So erscheint es etwas irritierend, wenn er in monologartigem Stil die Philosophinnen wie Romanfiguren sprechen lässt. So etwa, als er von dem Moment erzählt, als Ayn Rand ein Manuskript beim Verlag einreicht: „Von nun an lag das Werk in den Händen der anderen. Und wie immer deren Urteil ausfallen würde, sie wusste in diesem Moment ganz genau, was sie getan und kreiert hatte. Es war ein göttliches Gefühl.“ Ohne Zweifel hat Eilenberger gründlich recherchiert, aber kann er wirklich wissen, was Rand in diesem Moment gedacht und gefühlt hat?

Der Untertitel „Die Rettung der Philosophie in finsteren Zeiten“ erscheint nach der Lektüre nicht treffend gewählt: Um „die Philosophie“ geht es gar nicht, jedenfalls wird nicht ausdrücklich definiert, was damit gemeint sei. Ebenso wenig wird deutlich, inwiefern sie etwas sein kann, das vor etwas anderem „gerettet“ werden müsse. So ist auch hier die Tendenz erkennbar, zugunsten der sprachlichen Brillanz etwas vom sachlich korrekten Stil abzudriften.

Fazit:

„Feuer der Freiheit“ ist definitiv eine lohnenswerte Lektüre. Über den etwas zum Plakativen neigenden Stil lässt sich angesichts der insgesamt gelungenen, spannenden und anregenden Erzählweise hinwegsehen. Die Idee, vier Denkerinnen in Dialog und Austausch treten zu lassen, ist sehr fruchtbar. So ist man nach der Lektüre um einige anregende Gedanken bereichert.

Feuer der Freiheit

Wolfram Eilenberger, Klett-Cotta

Feuer der Freiheit

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