Wie die Natur ein Weltreich besiegte
Der Untergang des Römischen Reiches, so Kyle Harpers These, lässt sich nicht allein aus den geschichtswissenschaftlichen Überlegungen heraus erklären. Zum Zerfall trugen mit Sicherheit viele gesellschaftliche und politische Faktoren bei, ein weiterer wurde aber bisher wenig berücksichtigt: die Umwelt. Es ist daher Harpers Anliegen, auch naturwissenschaftliche Erkenntnisse zu betrachten und so das Schicksal des gefallenen Imperiums in einen neuen Kontext zu stellen.
Vom Klimaoptimum zur Eiszeit
Während der deutsche Untertitel lediglich auf das Klima verweist, trifft es die englischsprachige Version mit Climate, Disease and the End of an Empire wohl noch besser. Es waren nämlich - das klingt schon im Prolog an - sowohl klimatische Schwankungen als auch tückische Krankheiten, die den Römern schmerzlich die Macht der vermeintlich gebändigten Natur zeigten. Harper betont dabei, dass es ihm um eine interdisziplinäre Betrachtung geht – die vielen anderen (möglichen) Gründe für den Niedergang des Riesenreiches will er keineswegs schmälern oder vereinfachen, sondern ergänzen.
Ganz kurz geht der Autor zu Beginn auf den Aufstieg und die Struktur des Römischen Reiches ein und deutet bereits an, dass dessen erstaunliche Ausdehnung Fluch und Segen zugleich bedeutete. Zunächst aber lief es rosig: Die Blütezeit des Imperiums fiel in das sogenannte römische Klimaoptimum, eine Warmphase mit feuchtem und recht beständigem Klima. Dadurch florierte die Wirtschaft im agrarisch geprägten Mittelmeerraum ganz besonders. Für Harper ist es kein Zufall, dass der Wandel hin zu einer kleinen Eiszeit anschließend den landwirtschaftlichen Ertrag reduzierte und das Wachstum begrenzte. Es wurde kälter und trockener, sodass beispielsweise Dürren in der „Kornkammer“ Ägypten die Versorgung gefährdeten. Dabei nahmen die Römer sogar schon selbst Einfluss auf die klimatische Entwicklung, indem sie etwa in großem Stil Wälder abholzten.
Reich, aber krank
Als noch dramatischer allerdings erwiesen sich die Infektionskrankheiten, mit denen die Römer stets zu kämpfen hatten. Der selbst in guten Zeiten prekäre Gesundheitszustand der Bevölkerung lässt sich unter anderem an Knochenfunden ablesen. Laut Harper waren die Römer zwar „reich, aber krank“ und beispielsweise auffallend klein. Die Lebenserwartung war niedrig und die Hygiene vor allem in den Städten katastrophal, sodass neben vielen anderen Seuchen eine hohe saisonale Sterblichkeit an der Tagesordnung war: Im Sommer starben die Menschen an Durchfallinfektionen und Malaria, im Herbst an Atemwegserkrankungen. Dass das alte Rom heute für Errungenschaften wie die Versorgung mit Frischwasser und öffentliche Badehäuser bekannt ist, half seinen Bewohnern zumindest in den großen Ballungszentren also wenig.
Mit ihrem Handelsnetz, das bis nach Indien und China reichte, und ihrer enormen Expansion hatten die Römer zudem den idealen Raum für Pandemien geschaffen. Die erste große Seuche war die Antoninische Pest, die sich in beinahe der gesamten damals bekannten Welt ausbreitete. Wahrscheinlich handelte es sich bei dem Erreger um die Pocken. Liest man diese Kapitel unter dem Eindruck der gegenwärtigen Klimakrise und der Corona-Pandemie, tun sich unangenehme Analogien auf: Der Mensch beeinflusst das Klima und dringt immer weiter in Naturräume vor. Erreger, die von Wildtieren stammen, springen auf den Menschen über und verbreiten sich aufgrund der hohen Mobilität über große Distanzen hinweg nahezu ungehindert. Die Menschen der Antike, mit ihrer ohnehin defizitären Versorgung und einem unzulänglichen medizinischen Wissen, hatten dem nichts entgegenzusetzen.
Klimawandel und Seuchen vs. die menschliche Hybris
Dennoch kann Harper zeigen, wie das Römische Reich nach der Krise des dritten Jahrhunderts erneut ein neues Gleichgewicht gewann und sich noch lange Zeit weiterschleppte. Allerdings nahm die politische Instabilität parallel zu den Umweltveränderungen und Seuchenwellen zu. Der Kaiser residierte längst in Konstantinopel, als mit Yersinia Pestis ein besonders verheerender Killer in die Welt kam: der Erreger der Beulenpest, der auch im Mittelalter als „Schwarzer Tod“ etwa 40 bis 60 Prozent der Bevölkerung das Leben kostete. Nach dieser Justinianischen Pest, die bereits in der Antike immer wieder neu aufflammte, war das einstige Weltreich wirtschaftlich und politisch am Rande des Zusammenbruchs – und in der kleinen Eiszeit angekommen.
Harpers interdisziplinärer Ansatz ist beeindruckend und kenntnisreich. Einerseits greift er auf die Quellenarbeit der Altertumsforschung zurück, lässt Zeitgenossen sprechen und deutet Überlieferungen und archäologische Funde. Andererseits bedient er sich naturwissenschaftlicher Arbeiten und zieht etwa anthropologische, geologische und medizinische Analysen heran, um ein möglichst umfassendes Bild zu zeichnen. Sein Text ist enorm dicht und detailreich und damit durchaus anspruchsvoll zu lesen. Dabei erklärt er die Sachverhalte jedoch so, dass sie allgemein verständlich bleiben und auch naturwissenschaftlich unbedarftere Leser der Argumentation folgen können. Die eingebundenen Graphen, Tabellen und Karten sind dabei ebenso hilfreich wie der große Zeitstrahl, der Klimageschichte, Seuchengeschichte, Reichsgeschichte und historische Akteure gemeinsam visualisiert. Der mehr als hundert Seiten starke Anhang untermauert die wissenschaftliche Tiefe der Abhandlung.
Aktualität schafft Harper am Ende, indem er darlegt, dass die Menschheit heute in Sachen Wohlstand und Lebenserwartung alles übertrifft, was sich ein Römer nur ausmalen konnte. Im Gegensatz zur Antike leben wir, vor allem im Westen, in einer Überflussgesellschaft. Doch wie schon im Römischen Reich könnte es sich um einen Tanz auf dem Vulkan handeln. Das Buch ist vor der Corona-Pandemie entstanden und weist dennoch bereits auf die „kreative Zerstörungskraft der Evolution“ hin, die nach wie vor lauert. Und auch die Folgen des Klimawandels beweisen zunehmend, dass wir uns unsere Kontrolle über die Natur womöglich nur einbilden. Letztlich siegte das Primat der Umwelt über die Zivilisation des Römischen Reiches. Aber während wir „gemeinsam das antike Schauspiel bewundern“, wissen wir nicht, wie das nächste Kapitel im 21. Jahrhundert aussehen wird.
Fazit:
Kyle Harper schafft mit „Fatum“ eine fundierte und überzeugende Untersuchung darüber, wie Klima und Infektionskrankheiten den Niedergang des Römischen Weltreiches begleiteten. Harper plädiert dabei aber keineswegs für einen monokausalen Erklärungsansatz, sondern verbindet in seiner Argumentation zahlreiche Forschungsfelder. Zwar fordert er damit seine Leser, wird der komplexen Thematik und ihrer grundsätzlichen Übertragbarkeit auf die Gegenwart aber mehr als gerecht.
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