Ein nicht durchgängig gelungenes Konglomerat aus einzelnen Aufsätzen
Mit der Geschichte des Hauses Habsburg haben sich die beiden Spiegel-Redakteure Pieper und Saltzwedel einem sehr umfangreichen Thema gewidmet. Zusammen mit zahlreichen anderen Journalisten und Historikern versuchen sie sich dieser Familie zu nähern, die einst über große Teile Europas geherrscht hat. Dabei wollen sie eine urteilsfreie „möglichst reichhaltige historische Spurensuche“ anbieten, die u.a. in der Frage mündet, „ob das heutige Europa von Habsburg kulturell, vielleicht sogar politisch noch etwas lernen kann“.
Geschichte im Schnelldurchlauf
In mehr oder weniger langen Aufsätzen galoppieren die Autoren durch die Geschichte des Hauses Habsburg, das seit dem Hochmittelalter immer mehr an Macht gewann. Im Laufe der Zeit stellte es 21 Könige und 16 Kaiser, bevor es mit dem Verzicht auf die Regentschaft durch Kaiser Karl I. 1918 zu einer noch immer polarisierenden großen Familie degradiert wurde. Ihre über 600 Mitglieder tragen nur noch einen etwas längeren Nachnamen, gepaart mit sehr vielen Vornamen, besitzen aber keine Macht mehr. Die Qualität der präsentierten Aufsätze ist hier sehr unterschiedlich. Manche zeugen von intensiver Recherche, gepaart mit Fachwissen, andere wiederum sind nicht mehr als aufgepeppte Wikipedia-Einträge (z.B. „Sagenhafte Schätze“). Porträtiert werden in chronologischer Reihenfolge die wichtigsten Herrscher, aber auch Personen, die mit ihnen zusammen die Geschicke des Reiches beeinflussten, wie von Metternich oder Wallenstein. Dazwischen findet der Leser immer wieder Exkurse zu außergeschichtlichen Themen, wie dem Hofzeremoniell, den Schlössern und Burgen oder dem „Nachhall in der österreichischen Literatur“. Diese Aufsätze können eine willkommene Ergänzung zu den faktenlastigen Artikeln sein, gleiten aber teilweise auch ins Banale ab. Das ist sehr bedauerlich, denn gerade diese Facetten runden das Bild ab und lassen den Leser hinter die Fassade blicken – auch Habsburgs haben Seiten, die nicht in Geschichtsbüchern auftauchen!
Die Zeit nach 1918 kommt zu kurz
Nach Ende des 1. Weltkrieges verzichtet Kaiser Karl I. auf die Regentschaft, dankt aber nicht offiziell ab. Was danach mit dem Kaiser und seiner Familie geschah, wird im Buch nur angerissen. Lediglich in einem Interview gibt der heutige Chef des Hauses einen kleinen Einblick, wie man sich das Leben als Habsburger heute vorzustellen hat. Aber die Ereignisse nach dem Rücktritt 1918 bis heute wären eigentlich genauso zu gewichten, wie die in den Jahrhunderten davor. Dennoch wird auf eine Beleuchtung dieser Zeit verzichtet und das, obwohl gerade sie zeigt, wie sich ein ehemals mächtiges Herrscherhaus in das demokratische Europa integriert. Die oben genannte und für die Autoren scheinbar aus der Lektüre resultierende Frage nach dem Nachhall der Habsburger-Herrschaft lässt sich jedoch nur unter Einbezug der jüngsten Vergangenheit beantworten. Hier hätte ich mir einen Aufsatz über die politische Entwicklung des Hauses in der Zeit nach 1918 gewünscht und eine Ergänzung, welche die auf immer noch herrschenden zeremoniellen Verpflichtungen eingeht, die sich auch im Österreich unserer Zeit bei offiziellen Anlässen, wie Beerdigungen eines hochrangigen Habsburgers, zeigen.
Nicht jede Veröffentlichung taugt zum Taschenbuch
Die vorliegende Taschenbuchausgabe ist bereits 2010 im Hardcover erschienen. Leider merkt man das dem Buch an. Eine Anpassung an das neue Format ist nicht geschehen. Die Abbildungen haben besonders gelitten. Sie sind alle schwarz-weiß und gehen teilweise, obwohl relativ klein, über 1,25 Seiten – der Falz zerstört dabei bedauerlicher Weise den Gesamteindruck. Lediglich der lange Stammbaum der Habsburger ist farbig und auf Hochglanzpapier abgebildet. Zur besseren Übersicht ist er in zwei Teile gesplittet, die mit „Angestammte Macht“ und „Herrscher an der Donau“ betitelt sind und sich zwischen den entsprechenden Aufsätzen befinden. Die Schrift ist hier sehr klein geraten und erschwert das Lesen.
Überhaupt hätte ich mir mehr Fotos gewünscht. Sie hätten den Zugang zum Thema erleichtert und die besprochenen Persönlichkeiten fassbarer gemacht. Aber so dominiert das Wort und die Abbildungen sind nur minimales Beiwerk. Dennoch schaffen es die Autoren die Neugier auf diese Familie zu wecken, was die Absicht dieses „bunten Historien-Panoramas“ war.
Fazit:
„Die Welt der Habsburger“ gibt einen Über- und Einblick in eines der größten ehemaligen Herrscherhäuser Europas. Die Donaumonarchie wird gut verständlich und populärwissenschaftlich aufgearbeitet. Wer bis jetzt nur Sisi und ihren Franzl kannte, lernt nun auch den (berühmtesten) Rest ihrer Familie kennen, bis hin zum heutigen Chef des Hauses. Kleine, wenn auch nicht immer gelungene Exkurse zu Randthemen lockern und ergänzen die faktenorientierten Aufsätze, wobei die Zeit nach dem 1. Weltkrieg bedauerlicherweise kaum Erwähnung findet.
Dietmar Pieper, Johannes Saltzwedel, Penguin
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