Porträt einer ebenso einflussreichen wie anpassungsfähigen Familie
Bereits zum 100. Geburtstag von Richard von Weizsäcker am 15.4.20 erschien das vorliegende Buch als Hardcover, jetzt liegt es auch als Paperback vor. Autor Hans-Joachim Noack (1940-2020) arbeitete als Journalist für die „Süddeutsche Zeitung“, die „Frankfurter Rundschau“ und zuletzt den „Spiegel“. Als Publizist ist er vor allem durch seine viel beachteten Kanzlerporträts bekannt geworden. Nun hat er sich einer der einflussreichsten Familien des 20. Jahrhundert gewidmet.
Vom Müller zum Bundespräsidenten
Der Ursprung der Weizsäckers liegt in einem fränkisch-hohenlohischen Müllergeschlecht. Mit dem Theologen Carl Heinrich von Weizsäcker als Geheimen Rat ist der Aufstieg in höchste kirchliche und staatliche Ämter im Königreich Württemberg gelungen. Sein Sohn Karl Hugo trat in seine politischen Fußstapfen und erhielt 1916 die erbliche Freiherrenwürde – jetzt durften sich alle nachfolgenden Mitglieder der Familie „von Weizsäcker“ nennen. Hans-Joachim Noack konzentriert sich im vorliegenden Buch auf die Söhne Karl Hugos - Viktor und Ernst Heinrich und dessen Kinder Carl Friedrich und Richard Karl. Während Viktor als Neurologe immer mehr die Anthroposophie propagiert, wird Ernst Heinrich Marineoffizier, Diplomat und unter von Ribbentrop Staatssekretär des Außenministeriums. Sein ältester Sohn Carl Friedrich steigt schnell in die Physiker-Elite um Heisenberg und Hahn auf, um sich nach dem 2. Weltkrieg zum Philosophen und Friedensforscher zu verwandeln. Richard wird erst Jurist, dann Kirchentagspräsident, Politiker der CDU und schließlich Bundespräsident - die Weizsäckers haben das höchste Amt im Staat erobert.
Haben sich die von Weizsäckers im 3. Reich schuldig gemacht?
Das ist die zentrale Frage, der Noack nachgeht. Dabei konzentriert er sich leider ausschließlich auf die männlichen Mitglieder der Familie. Die ziemlich linientreue Ehefrau von Ernst Heinrich und Mutter der beiden berühmten Söhne, Marianne, wird dabei ebenso, wie ihre Tochter Adelheid nur am Rande erwähnt. Noack versucht Licht in die Verstrickungen Ernst Heinrichs, Carl Friedrichs und auch Richards in die Machenschaften der Nazis zu bringen. Als Diplomat und Staatssekretär des Außenministeriums arbeitete Ernst Heinrich an vorderster ministerialer Front. Carl Friedrich nahm als Physiker an der Entwicklung einer Atombombe für Hitler teil. Richard, sieben Jahre jünger als sein Bruder, kämpfte in einem Eliteregiment, kam in Kontakt mit dem Widerstand, verriet diesen nicht, war aber auch nicht gewillt sich selbst daran zu beteiligen. Onkel Viktor gab Vorlesungen, in denen er vor dem Begriff „Vernichtung unwerten Lebens“ nicht zurückschreckte und die „Zwangssterilisation zur Verhütung von erbkrankem Nachwuchs“ begrüßte. Auch an der Bücherverbrennung nahm er ohne offensichtliche Gewissensbisse teil. Wie die Männer mit dieser Vergangenheit umgingen und welche Folgen sie für sie hatte, wird ausführlich dargelegt, bevor sich der Autor den weiteren Schritten dieser „aufstiegsorientierten“ Familie widmet.
Gute Recherche gut umgesetzt
Neben Gesprächen mit Richard von Weizsäcker und den Nachkommen der Familie, hat Noack vor allem Akten und Sekundärliteratur gewälzt. So entstand eine umfangreiche Recherche, die er sehr anschaulich dem Leser präsentiert. In flüssig zu lesendem Stil und gut nachvollziehbaren Gedankengängen werden Ausführungen geboten, die durch zahlreiche Fotos, wenn auch nicht farbig, ergänzt werden. Der Autor springt immer zwischen den Personen, sodass die Zeitskala den Rahmen vorgibt. Die nahezu anmaßend elitäre Auffassung von „Konstanz und Kontinuität“ wird beständig hinterfragt. Bedauerlich finde ich allerdings die manchmal fehlende Objektivität Noacks, die allerdings gerade dadurch zur umfassenden Reflektion animiert.
Dem Leser wird eine Familie vorgestellt, die für viele bis heute eine Vorbildfunktion hat. Ob das nach der Lektüre auch noch so ist, bleibt fraglich. Die Lichtgestalten Richard und vor allem Carl Friedrich erhalten einen Schatten und man kann sich der Frage nicht erwehren, ob nicht der eigene Erfolg an erster Stelle stand und sie die propagierte christliche Nächstenliebe und politische Verantwortung vor allem zu ihren Gunsten auslegten.
Fazit
„Die Weizsäckers“ ist ein kritisches Porträt einer der einflussreichsten Familien Deutschlands. Hervorragend recherchiert, informativ und angenehm zu lesen, veranlasst es den Leser über diese Familie zu reflektieren und damit über den Umgang mit der Vergangenheit im Allgemeinen. Für politisch Interessierte ein absolutes Muss.
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