Die Hohenzollern und die Nazis

Die Hohenzollern und die Nazis
Die Hohenzollern und die Nazis
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Carola Krauße-Reim
10101

Sachbuch-Couch Rezension vonJun 2024

Wissen

Allumfassendes Wissen, sehr detailreich und in wissenschaftlich gehaltenem Ton vorgebracht.

Ausstattung

Im Anhang: Anmerkungen; Quellen-, Literatur- und Personenverzeichnis; Genealogie und Übersichtskarte in Buchumschlägen und viele Fotos, die allerdings sehr klein sind.

Ein historisches Thema mit aktueller Brisanz.

Viele Jahrzehnte war die Frage nach Sympathien der ehemaligen deutschen Kaiserfamilie für die Nazis ein rein wissenschaftliches Thema. Erst als 2014 der heutige „Chef des Hauses“, Georg Friedrich Prinz von Preußen, die Rückgabe von Kunstgegenständen und Liegenschaften, bzw. eine Entschädigung dafür forderte, führte das Verhältnis zwischen den Hohenzollern und den Nazis nicht nur langsam zu einer öffentlichen Debatte, es wurde auch schlagartig sehr brisant. Denn nur wer nachweislich den Nazis keinen Vorschub leistete, hat ein Recht auf Wiedergutmachung. Sowohl die Familie Hohenzollern als auch staatliche Organe gaben Gutachten in Auftrag. Autor Stephan Malinowski war der 2014 vom Land Brandenburg beauftragte Gutachter.

Der Autor

Stephan Malinowski studierte Geschichte und lehrt sie seit 2012 an der University of Edinburgh. Er gilt als einer der führenden Fachleute für den deutschen Adel und dessen Geschichte. Sein Gutachten führte zu einem eindeutigen Ergebnis, das allerdings die Beauftragten des Hauses Hohenzollern mit Gegengutachten widerlegen wollten. Was Stephan Malinowski heraus fand, veröffentlichte er 2022 in dem Buch, das jetzt als Taschenbuch vorliegt und das ebenfalls 2022 mit dem Deutschen Sachbuchpreis ausgezeichnet wurde. Die weitere Entwicklung im Streit zwischen dem Haus Hohenzollern und der öffentlichen Hand konnte somit keine Erwähnung finden. 2023 gab Georg Friedrich Prinz von Preußen bekannt, die Ansprüchen auf Rückgabe aufzugeben und „den Weg frei[zu]machen für eine unbelastete Debatte in der Geschichtswissenschaft zur Rolle [s]einer Familie im 20. Jahrhundert.“

Das Trauma der Hohenzollern

Stephan Malinowski konzentriert sich in seinen Ausführungen hauptsächlich auf den Ex-Kronprinzen Wilhelm, geht aber auch auf die Rolle Wilhelm II., dem letzten Deutschen Kaiser, und dessen Enkel Louis Ferdinand, dem Sohn Wilhelms, ein. Viel Wert legt der Autor auf die Zeit kurz vor und während des 1. Weltkrieges, die prägend war für die Erziehung des Kronprinzen. Der Adel war fest verankert im Staat, die Herrscherfamilie wurde dem Volk durch geschickt eingefädelte Propaganda in dem Sinne vorgegaukelt, wie man sie gerne sehen wollte und sie selbst auch gesehen werden wollten.

Nach dem Ende der Monarchie und während dem Exil in den Niederlanden, verlor vor allem der Kronprinz seine Identität. Da war es vorauszusehen, dass er, ebenso wie der abgesetzte Kaiser, die ihm zugedachte Führungsrolle zurückhaben wollte. Dazu kam, dass der Adel nur auf dem Papier abgeschafft wurde.

„Weder die Personen noch ihre spezifischen Codes, noch ihre Traditionen, ihr Selbstverständnis oder ihre politischen Handlungsmöglichkeiten waren verschwunden. Fern vom Wirkungsbereich der republikanischen Verfassung hatte sich eine Parallelwelt erhalten, in der die alten Titel, Sprachregelungen, Hausgesetze und Rituale des Hochadels weitergeführt wurden“.

Natürlich hätte der Ex-Kronprinz auch „als privatisierender Grandseigneur in einem schlesischen Schloss leben können“, doch „wenig spricht dafür, dass der Kronprinz diesen Weg jemals ernstlich erwogen hätte“. Die antirepublikanisch eingestellten Hohenzollern versuchten wieder Einfluss und Stellung in Deutschland zu erlangen, wenn auch nicht unbedingt erfolgreich. „Die Grenzen zwischen Realität und Theater, Bericht und Gerücht, Wahn- und Leitideen sowie Witz- und Führerfiguren sind in den beiden niederländischen Außenstellen der deutschen Rechten überaus durchlässig“.

Was für die einen eher lächerlich anmutete, war eigentlich ein Tanz auf dem Vulkan, denn „mit einem Großteil der bürgerlichen und adligen Funktionseliten, die sich mit der NS-Bewegung verbündeten, teilten die Hohenzollern die Vorstellung, die Potentiale des Nationalsozialismus nutzen, steuern und zähmen zu können“.

Wie unterschiedlich das der Ex-Kaiser und der Ex-Kronprinz zu verwirklichen versuchten, zeigt Malinowski im Folgenden. Es ist manchmal erschreckend, wie egoistisch, teilweise schon blauäugig dumm das Verhalten gerade des Ex-Kronprinzen zu sehen ist, der sich immer wieder den Nazis anbiedert. „Im August 1934 notierte Goebbels in sein Tagebuch: „Unterredung Kronprinz. Frage Monarchie. Die glauben alle an ihre Restaurierung. Ich habe keinen Hehl gemacht. Wäre unsere größte Dummheit. Wir sind Arrivisten und müssen das bleiben“.

Es folgt die Rolle des Enkels Louis Ferdinand. Dieser hatte schon im 2. Weltkrieg die Bühne betreten und im Nachgang die Geschicke des Hauses gelenkt. Das nächste Kapitel der chronologischen Abfolge ist die Betrachtung der Familie nach Ende des 2. Weltkrieges. „Insgesamt zeugen Quellen der Nachkriegsjahre konsequent von dem Versuch, die Familie im Lager der Opfer einzuordnen. Selbst eine bemerkenswerte Gleichstellung mit den Opfern nationalsozialistischer Kunstraub-Kampagnen fehlte nicht.“

Das führt zum letzten Thema des Buches – den 2014 angemeldeten Anspruch auf Wiedergutmachung. Malinowski beschreibt die beiden Lager und ihre Gutachter. „Zur Klärung der Frage, ob der Kronprinz dem NS-Regime im Sinne des Ausgleichsleitungsgesetzes „erheblichen Vorschub“ geleistet hatte, wurde von Seiten der Familie seit 2011 renommierte Historiker beauftragt.“ Diese kamen zu einem anderen Ergebnis als die von staatlicher Seite engagierten Gutachter. Das sagte der Familie Hohenzollern natürlich nicht zu und sie suchten es auch durch teilweise sehr fragwürdige Methoden einzudämmen. „An der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf wurde schließlich unter der Leitung der Staatsrechtlerin Sophie Schönberger und in Kooperation mit dem Deutschen Historikerverband im Juni 2021 eine Website freigeschaltet – unter dem Titel „Die Klagen der Hohenzollern“wird dort das juristische Vorgehen gegen Medien und Personen dokumentiert und zur Diskussion gestellt“.

Anspruchsvoll, hoch interessant und sehr informativ

Der Autor behandelt das Thema in chronologischer Abfolge, wobei er immer wieder Bezug auf Vorhergehendes nimmt. Der Stil ist dabei elaboriert und wissenschaftlich gehalten. Ein Grundverständnis und vor allem ein gesteigertes Interesse für das Thema ist daher unabdingbar. Immer wieder sind Abbildungen von Fotografien oder Karikaturen abgebildet, die meistens sehr klein, aber immer auch sehr informativ sind. In den Buchdeckeln befinden sich zudem eine Übersichtskarte mit wichtigen Orten für die Hohenzollern und ein Stammbaum von Wilhelm II bis in unsere heutige Zeit. Das Thema wird ausführlich und immer um Neutralität bemüht beleuchtet. Dennoch bleibt zum Schluss eigentlich nur eine Schlussfolgerung auf die Frage nach der Kollaboration der Hohenzollern mit den Nazis übrig.

Fazit

Ein Sachbuch, das ein historisches Kapitel beleuchtet, das viel zu lange kaum Beachtung fand. Stephan Malinowski schafft es packend und gleichzeitig wissenschaftlich gehalten, die Beziehung der Hohenzollern zu den Nazis zu zeigen, die nicht unmaßgeblich an dem Scheitern der Demokratie in Deutschland und dem erstarken der Nazis beteiligt waren. Eine brillante Aufdeckung eines lange unbeachteten dunklen Kapitels deutscher Geschichte und unbedingt lesenswert!

Die Hohenzollern und die Nazis

Stephan Malinowski, Ullstein

Die Hohenzollern und die Nazis

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