Augen nach oben …
Bäume gehören zu den gewaltigsten und im Kampf gegen den Klimawandel wichtigsten Lebewesen der Erde. Umso erstaunlicher, dass ihre Baumkronen bis vor wenigen Jahrzehnten noch keine bis wenig Beachtung in der Forschung gefunden haben. Die Wissenschaftlerin Meg Lowman will das ändern und hat eine beeindruckende Karriere hinter sich, von der sie in diesem Buch berichtet.
„Ich werde Bäume nie wieder so sehen wie früher, und der Rest der Welt auch nicht – dank der Autorin dieses Buches.“ – Sylvia A. Earle (US-amerikanische Ozeanografin und Umweltaktivistin)
Dass sich selbst für viele Naturbegeisterte das meiste auf Augenhöhe abspielt, verwundert nicht. Daher war es für viele Forschende auch selbstverständlich, sich Bäume im unteren Bereich anzuschauen, sozusagen den großen Zeh. Doch dadurch blieb ihnen lange Zeit eine völlig neue Welt verborgen, die hoch über ihren Köpfen zu finden ist. Hier unterscheidet sich das Leben völlig von dem am Boden, bildet eine eigene Flora und Fauna zwischen Licht und Schatten und unendlichen Grüntönen. Eine Frau hat diese Welt der Wissenschaft und der Bevölkerung geöffnet: Arbonautin Meg Lowman. Dafür musste sie aber einen steinigen Weg gehen …
Bei Arbonauten handelt es sich um Menschen, die die Baumkronen erforschen und dabei mitunter waghalsige Klettermanöver vollziehen. Ob mit Stirnlampe in der Nacht, geschützt vor dem Regen mit einem Poncho oder bewaffnet mit einer Kamera zu Dokumentationszwecken – Arbonauten sind eine Wissenschaftlerspezies für sich, denn man braucht Durchhaltevermögen und viel Mut, um sich den Schwierigkeiten zu stellen.
Meg Lowmans Karriere begann in den 60ern, als sie sich schon als Kind für die heimische Tier- und Pflanzenwelt begeisterte. Auf Ausflügen in die nahe Natur hat sie viel gesammelt, danach Pflanzen gepresst und ihrem Herbarium zugeführt. Doch als selbsterklärtes Mauerblümchen war es für sie nicht einfach, ihre Leidenschaft mit anderen zu teilen – vor allem weil die Naturwissenschaft noch immer eine Männerdomäne war. Dennoch schlug sie sich durch, musste gegen Vorurteile, Diskriminierung und sexuelle Übergriffe kämpfen, und selbst dann war es noch kein leichter Weg. Schließlich sollte ihre Verbissenheit über viele Kontinente führen, wo sie ihre Liebe für die Baumkronen entdeckte – eine Liebe, die bis heute anhält und andere Menschen ansteckt.
Hoch hinaus
Anfänglich war doch die Enttäuschung da, weil man durchaus etwas anderes vom Buch erwarten könnte: eine wissenschaftliche, faszinierende Abhandlung über den kaum erforschten grünen Kontinent der Baumkronen. Stattdessen war aber schon früh klar, dass es sich in erster Linie um eine Autobiografie handelt, die das Wirken und Werden von Meg Lowman selbst in den Fokus stellt. Natürlich ist die Schnittstelle zum biologischen Wissen gegeben, aber eher so nebenbei. Man muss jedoch dazu sagen, dass die Verlagsinformationen auf Rückseite und Umschlagklappe keine falschen Erwartungen schüren dürften (wenn man nicht gerade völlig blind ans Buch herangeht).
Nun hatte ich das Buch schon fast abgeschrieben, weil Biografien nicht gerade zu meinen Lieblingsbüchern zählen. Doch pflichtbewusst habe ich weitergelesen und war schnell gefangen: Ich habe nahezu jede Seite ausgekostet und gerade deswegen mir viel Zeit beim Lesen gelassen, denn Meg Lowman ist zutiefst faszinierend und in ihrer Begeisterung ansteckend. Es zeugt von einer starken Persönlichkeit, sich gegen alle Widrigkeiten zu stellen und bis heute den Optimismus nicht zu verlieren. Davon zeugen ihre Berichte über die Reisen, Expeditionen und Erfahrungen ebenso wie ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse, die beeindrucken.
Passend dazu gibt es in der Mitte des Buches (leider nicht begleitend zum Text) eine Sammlung von Fotos, die Lowmans Leben abdecken; dadurch ist man nochmal stärker im Geschehen.
Unterteilt wird das Buch in Kapitel, die verschiedene Stationen ihres Wirkens behandeln. Hier berichtet sie viel Persönliches, aber auch von Forscherkolleginnen und -kollegen, ihrer Förderung von Wissenschaftlerinnen (die sie sich oft auch gewünscht hatte) und natürlich von ihren Erlebnissen in den Kronen, die von witzig bis dramatisch reichen. Dazu gibt es vor jedem Kapitel eine kurze Vorstellung besonderer Baumarten, die Lowman in ihrer Forschung sehr geprägt haben.
Fazit
Wer dieses Buch beendet, wird immer wieder staunend in die Baumkronen schauen, und sich vorstellen, wie das Leben dort ganz eigene Wege geht. Mir geht es auf jeden Fall so, und das nehme ich dankend aus diesem Buch mit.
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