Wie man Unsinn erkennen und seinen Folgen entgehen kann
Carl Sagan (1934-1996) war sowohl ein anerkannter Astronom als auch einer der seltenen Wissenschaftler, die sich nicht nur fachspezifisch ausgebildeten Kollegen, sondern auch dem ‚normalen‘ Zeitgenossen mitteilen können. Dies ist eine Gabe, zumal viele Wissenschaftler davon überzeugt sind, dass man sich auf ihr ‚Niveau‘ begeben muss, will man an ihren Kenntnissen teilhaben. Sagan sah dies anders, und er hatte außerdem kein Problem damit, sich moderner und populärer Medien zu bedienen, wenn es half, Informationen zu verbreiten.
Er starb, bevor das Internet seinen Siegeszug antrat, weshalb er ein wenig ins multimediale Abseits geraten ist. In den 1980er und 1990er Jahren kannte man seinen Namen, wenn man sich für das Weltall interessierte. Sagan war eine TV-Persönlichkeit und als solche überaus charismatisch. „Cosmos: A Personal Voyage“ (1983; dt. „Unser Kosmos“) wurde ein 13-teiliger Dauerbrenner. Das auf Basis der Sendung entstandene Sachbuch hielt sich mehr als 70 Wochen in der Bestsellerliste der „New York Times“ und war auch ein weltweiter Bucherfolg.
Sagan nutzte seine Popularität um zu werben - nicht nur für die Astronomie, sondern für die Wissenschaft als Methode zur Lösung oder Linderung der vielfältigen Probleme einer modernen, zunehmend komplizierteren Welt. In seinen letzten Lebensjahren sah Sagan dafür eine stärkere Notwendigkeit, weil sich wissenschaftsfeindliche Ignoranten sowie die Befürworter beweisfreier Pseudo-Wissenschaften auf dem Vormarsch befanden.
Glauben ist NICHT Wissen - Punkt!
Es ist leicht, über Pseudo-Wissenschaftler und ihre Anhänger zu lachen und sie pauschal abzulehnen. Das bringt sie freilich nicht zum Verstummen, sondern stachelt sie höchstens an: Sagan schildert, wie Widerstand und Spott seit jeher dazu führen, dass sich Betroffene einigeln und in ihrem Unwissen wie in einer Festung verharren. Deshalb versuchte Sagan, der Verlockung zu widerstehen, sich über diese Leute lustig zu machen, sondern bemühte sich, zu überzeugen.
Sagan bleibt deshalb moderat, wenn er sich in „Der Drache …“ mit purem Unfug beschäftigt - Unfug, der jedoch präsent in einer Welt geworden ist, in der sich zunehmend durchsetzt, wer am lautesten schreit. „Der Drache …“ erschien lange vor Donald Trumps US-Präsidentschaft, aber es ist bedrückend, wie prophetisch Sagan unfreiwillig war! Vieles von dem, was (nicht nur) sein Heimatland intellektuell ins Mittelalter zurückzuwerfen droht, hat er schon vor dem Millennium klar erkannt und angesprochen. Für ihn, den Wissenschaftler, war dies keine Science-Fiction, sondern eine Erkenntnis, die aus der Menschheitsgeschichte resultierte: Wissenschaftler und Pseudo-Wissenschaftler kennen und hassen einander seit jeher. (Kurios: Manche Wissenschaft hat sich aus einer Pseudo-Wissenschaft - die Chemie aus der Alchimie oder die Astronomie aus der Astrologie - entwickelt.)
Ebenso freundlich wie glasklar und unerbittlich greift Sagan sich beliebte scheinwissenschaftliche Phänomene und ‚Lehren‘ heraus, um sie mit den Instrumenten des Wissens auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen. Nie benötigt er lange, um jene Argumentationslücken aufzudecken. Ebenso nimmt Sagan jenen die Spitze, die darauf hinweisen, dass „Wissenschaftler keineswegs alles wissen“ oder sich gar immer wieder irren: Genau das ist die Stärke der Wissenschaft, erläutert Sagan. Sie stellt sich und damit ihre Erkenntnisse immer wieder in Frage sowie über die Person des Forschers. Im Idealfall wird Brauchbares kollektiv erkannt und Nutzloses aussortiert; dies mit einer Gnadenlosigkeit, der sich die Pseudo-Wissenschaftler wohlweislich niemals stellen. Sie behaupten lieber, im Besitz einer absoluten Wahrheit zu sein, die es nachweislich nicht gibt.
Jagt den Drachen davon!
„Der Drache …“ ist kein stringent entstandenes Sachbuch. Teile erschienen zuvor in Magazinen und wurden von Sagan (und seiner Mitautorin, Mitarbeiterin und dritten Ehefrau Ann Druyan) aktualisiert, erweitert und einem Werk eingefügt, das wohl deshalb an Stringenz zu wünschen übriglässt. „Der Drache …“ ist außerdem reich an (oft allerdings interessanten) Abschweifungen und Wiederholungen. Im letzten Drittel beginnt die Darstellung an Dichte zu verlieren, was schade ist, da Sagan sich mehr und mehr aus der Deckung wagt und endlich jene zur Verantwortung zieht, die er bisher ‚geschont‘ hatte: Politiker, Konzerne, Kirchen und ihre Interessenvertreter.
Dass Sagan ein wenig zu einseitig urteilt, wenn er die Wissenschaft als Gegenmittel preist, ist der Beleg dafür, dass auch er nur ein Mensch war: So (annähernd) perfekt, wie Sagan es ausmalt, dürfte eine von Wissenschaft beseelte und kritischen Bürgern bevölkerte Welt nicht funktionieren. Der Gegenbeweis wird ausbleiben, weil es dazu ohnehin nie kommen wird. Auch Sagan war sich dessen durchaus bewusst, aber er wollte „eine Kerze anstecken“, die in intellektueller Finsternis leuchten sollte; dass er von seiner Krankheit und dem nahen Tod wusste, dürfte vermächtnisartig in seinen Text eingeflossen sein.
Das Licht in der Dunkelheit - ein persönliches Nachwort
Dieser Rezensent ist voreingenommen, wenn er „Der Drache …“ vorstellt, was - ganz im Sinne Sagans - nicht verschwiegen werden soll. Ich habe das Buch vor mehr als zwei Jahrzehnten erstmals gelesen. Zuvor gab es für mich keines dieser Werke, die prominente Zeitgenossen in ihren Memoiren als „wegweisend“ für ihr Leben bezeichnen. Außerdem war ich ungeachtet eines bereits abgeschlossenen Studiums (allerdings der Geisteswissenschaften, obwohl Sagan auch an ‚uns‘ denkt und in seine Argumentation einbezieht) jemand, der sich für Übernatürliches aller Art interessierte und von der Existenz gewisser Phänomene (fast) überzeugt war bzw. an sie glauben wollte. (In meiner umfangreichen Büchersammlung sind einschlägige Titel noch vertreten; sie stehen heute dort, wo sie nicht sofort ins Auge fallen …)
Die Lektüre von „Der Drache …“ bedeutete für mich ein in dieser Intensität bisher (und seitdem) seltenes Aha!-Erlebnis. Mit seiner klaren, sämtliche Gegenargumente berücksichtigenden Darstellung sorgte Sagan dafür, dass ich die Pseudo-Wissenschaften ein für alle Mal hinter mir ließ, ohne mich betrogen zu fühlen, weil ich mich von liebgewonnenen Wunschvorstellungen trennen musste. Stattdessen wurde ich frei für die Realitäten einer Welt, die mehr als reich an ECHTEN Phänomenen ist.
Die Mechanismen des Hinterfragens sind erstaunlich simpel. Sagan hat sie keineswegs erfunden. „Der Drache …“ ist gespickt mit Zitaten ähnlich denkender Menschen. Es ist nicht erstaunlich, dass sie so gut funktionieren. Wendet man sie an, lässt sich ein Rätsel lüften. Gelingt dies nicht, gibt es entweder kein Rätsel, oder es fehlen (noch) Beweise auf dem Weg zur Antwort. Nach der neuerlichen Lektüre bin ich erstaunt, wie oft ich mich seit vielen Jahren in Wort, Schrift und Handeln auf die von Sagan präsentierten Leitlinien stütze. Sie sind es wert - und dieses Buch verdient eine Neuausgabe!
Fazit:
Obwohl schon vor dem Millennium erschienen, ist die Argumentation des Verfassers in ihrer allgemeinverständlich formulierten Logik weiterhin bestrickend. Der zeitliche Abstand hat Sagan bestätigt. Die innere Konsistenz des Werkes weicht im letzten Drittel leicht auf, und vieles wiederholt sich, was freilich den Erkenntnisgewinn, der diesem Buch innewohnt, nicht mindert: So kann und soll ein Sachbuch sein!
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