Kann die Philosophie uns auch heute noch eine Stütze sein?
Gibt es einen „Sinn“ des Lebens? Wie können wir all dem Leid begegnen, das in der Welt existiert? Welchen Wert hat unser Handeln? Und warum hoffen wir? Solche und ähnliche Fragen stellen sich Philosoph*innen seit Jahrtausenden. Unterschwellig begleiten sie unseren Alltag bis heute und stellen damit Konstanten des menschlichen Zustands dar. Schon immer hat uns also die Philosophie als Mutter aller Wissenschaften mit ihrem Hang zum endlosen Hinterfragen an die Grenzbereiche unseres Begreifens gebracht, ohne endgültige Antworten liefern zu können. Doch vielleicht ist sie dazu in der Lage, uns wertvolle Gedankenanstöße und innere Ressourcen zu liefern, die uns auch in unseren heutigen (kleineren wie größeren, individuellen wie kollektiven) Krisen von Nutzen sein können …
‚Du erinnerst mich an einen Menschen, der aus dem geschlossenen Fenster schaut und sich die sonderbaren Bewegungen eines Passanten nicht erklären kann; er weiß nicht, welcher Sturm draußen wütet und dass dieser Mensch sich vielleicht nur mit Mühe auf den Beinen hält‘ – Ludwig Wittgenstein
Kieran Setiya, Jahrgang 1976, ist Philosophieprofessor am MIT Massachusetts Institute of Technology. Neben seiner Lehrtätigkeit beschäftigt er sich immer wieder mit praktischer Philosophie und nutzt die Literatur, um u.a. die gefürchtete Midlife Crisis zu verarbeiten. Auch in seinem aktuellen Buch Das Leben ist hart, auf Deutsch erschienen im dtv Verlag, wagt er einen Streifzug durch verschiedene Strömungen und Epochen philosophischer Theorie, um herauszufinden, welche Anregungen wir für unsere täglich auszufechtenden Kämpfe daraus zu ziehen vermögen.
‚Bemühe nur dich um die Tat, doch niemals um den Erfolg der Tat! Nie sei Erfolg dir Grund des Tuns, - doch meid auch Tatenlosigkeit! In Andacht fest, tu deine Tat! Doch häng‘ an nichts, du Siegreicher! Lass den Erfolg ganz gleich dir sein, - der Gleichmut ist’s, der Andacht heißt‘ – aus der BHAGAVAD GITA
Der Untertitel des Buches lautet Wie Philosophie uns helfen kann, unseren Weg zu finden. Ähnlich einem Pfadfinder geht Setiya daher auch vor: Anstatt einer vorgegebenen (z.B. chronologischen) gedanklichen Strecke zu folgen, wühlt er sich durch verschiedene Themenbereiche (welche gleichzeitig die Abschnitte bilden, in welche das Buch gegliedert ist), dröselt diese mithilfe von Auszügen und Thesen der klassischen wie zeitgenössischen Philosophie (angereichert mit Beispielen aus Geschichte, Mythologie und Popkultur) auf, stets offen dafür, welche Erkenntnisse er daraus gewinnt, und lässt sich einem Suchenden gleich von einem Komplex zum nächsten leiten. Wie begegnen wir der inhärenten Unfairness körperlicher Gebrechen? Was bedeutet Einsamkeit? Wie und warum trauert man? Was ist Scheitern, und welche Optionen stehen uns zur Verfügung, es zu bewerten? Müssen wir etwas tun im Angesicht globaler Ungerechtigkeiten, und wenn ja, was? Wie verorten wir uns in einer zunehmend absurden Existenz, ohne einander fremd zu werden? Und wie ambivalent ist die Bedeutung des Begriffs Hoffnung? Zu diesen und vielen weiteren Fragestellungen hat die Philosophie durchaus einiges zu sagen.
„Die Umstände sind neu, aber die Frage ist alt: Warum sollten wir uns um Gerechtigkeit bemühen, wenn Solidarität mit Schmerzen einhergeht?“
Ähnlich wie bei seinen vorigen Werken hat sich Setiya auch zu diesem Buch von einer persönlichen Krise inspirieren lassen, denn er leidet an chronischen Schmerzen. Sein Schreiben bietet ihm ein Ventil, der Willkür und Unumstößlichkeit seines Leidens zu begegnen und es in einen größeren Kontext einzuordnen. Daraus resultiert ein angenehm verbindlicher Stil, der Anspruch und Wissensvermittlung nicht missen lässt. Allerdings bleibt sich der Autor manchmal zu sehr an seinem Ausgangspunkt kleben. So gerät das Buch mehr zu einem langen Essay, einer persönlichen (stellenweise autobiographisch gelagerten) philosophischen Abhandlung. Damit wird es den Ratgeber-Qualitäten, die seinem Untertitel innewohnen, nicht immer ganz gerecht.
Fazit
Kieran Setiya gelingt eine literarisch-philosophische Reise, welche ihn seinen subjektiven Antworten auf die Frage danach, warum Menschen leiden und wie sie sich dieser Tatsache stellen können, näherbringt. Eine im besten Falle philosophisch bereits etwas vorgebildete Leserschaft kann ihn dank eines dichten und flüssig zu lesenden Textes begleiten und einige bereichernde Zitate und Einsichten mitnehmen, sollte aber nicht unbedingt erwarten, dabei den eigenen Antworten entscheidend näherzukommen.
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