Vom Leben und Leiden des letzten afrikanischen Sklaven in den USA
Der Untertitel von “Barracoon” lautet: Die Geschichte des letzten amerikanischen Sklaven. Tatsächlich berichtet hier Zora Neale Hurston die Lebensgeschichte von Oluale Kossola, der in Amerika Cudjo Lewis genannt wurde. Ob er 1927, als die Autorin ihn in Mobile besuchte, tatsächlich der letzte lebende Sklave in den USA war, lässt sich nicht überprüfen. Das ist aber auch eher nebensächlich. Auf jeden Fall war er einer von 125 Menschen, die 1859 mit der Clotilda, dem letzten nachgewiesenen Sklavenschiff, aus Westafrika nach Nordamerika kamen. Seine Geschichte steht daher stellvertretend für die von knapp 4 Millionen Afrikanern, die zwischen 1801 und dem amerikanischen Bürgerkrieg aus ihrer Heimat verschleppt und in die Sklaverei verkauft wurden.
Die in seinen eigenen Worten geschilderte Lebensgeschichte von Cudjo Lewis umfasst dabei nur knapp 100 Seiten. Eingebettet ist diese Erzählung in ein Vorwort der Herausgeberin, eine lange Einleitung der Autorin, Nachworte, ein Glossar mit vielen Begriffsklärungen, und schließlich etlichen Anmerkungen. Es ist keine leichte Lektüre, man muss sich schon auf das Thema einlassen, denn es geht um ein Kapitel der afrikanischen und der amerikanischen Geschichte, das nun wirklich nicht leicht zu erfassen und zu verdauen ist. Cudjo Lewis schildert in seiner einfachen Sprache die Verhältnisse in seiner Heimat, darauf hat er bestanden, bevor er zu seiner eigenen Gefangennahme und Versklavung kommt. Und die erzählt er dann ungeschminkt und mit drastischen Worten.
Es ist noch nicht Tag, da werden die Leute, die schlafen, von dem Lärm wach, wie die Leute von Dahomey das Große Tor aufbrechen. Ich bin noch nicht auf. Noch im Bett. Ich höre, wie sie das Tor aufbrechen. Ich höre das Schreien von den Soldaten, als sie das Tor einschlagen. Von dem her springe ich aus dem Bett und gucke. Ich sehe sehr viele Soldaten mit Franzosengewehr in der Hand und mit großem Messer. Es gibt auch Frauensoldaten, und die rennen mit großen Messern herum und machen Lärm. Sie fangen Leute, und sie sägen mit dem Messer den Hals ab, so, dann drehen sie den Kopf so, und er geht vom Hals ab. Ogottogott!
In der Gegend von Westafrika, aus der Cudjo stammt, sind die Weißen nicht selbst ins Land eingedrungen, um Sklaven zu fangen, sondern es sind kriegerische Völker, die daraus ein Geschäftsmodell gemacht haben. In Cudjos Fall ist es der König von Dahomey, der mit seinen Soldaten beiderlei Geschlechts immer wieder in die Nachbarländer einfällt, um Gefangene zu machen, die er dann an der Küste unter grauenvollen Umständen in Baracken - den Titel-gebenden Barracoons - gefangen hält, bis das nächste Sklavenschiff auftaucht.
Der Umgang afrikanischer Stämme und Völker miteinander ist ein gesondertes Drama, aber Teil der Geschichte der Sklaverei. Und Cudjos Schilderung wirft ein mehr als grelles Schlaglicht auf dieses Drama, und macht verständlich, warum es in der nach-kolonialen Phase in Afrika so viele Kriege und sogar Genozide gegeben hat.
Der Mann, der meinen Jungen getötet hat, ist heute der Pfarrer von Hay Chapel in Plateau. Ich versuche, ihm zu vergeben. aber Cudjo denkt, wo er jetzt den Glauben gefunden hat, sollte er kommen und mir erklären, dass sein Herz anders geworden ist, und Cudjo um Verzeihung bitten dafür, dass er meinen Sohn getötet hat.
Cudjo Lewis und seine Frau Seely haben fünf Kinder - und alle sterben vor ihm. Zuerst seine Tochter in Alter von 15 Jahren. Dann wird einer seiner Söhne von einem Hilfssheriff erschossen - ohne Folgen für den Mörder. Cudjo selbst wird von einer Rangierlok angefahren und arbeitsunfähig. Ein Gericht spricht ihm Schadenersatz zu - das Geld wird nie ausgezahlt. Der nächste Sohn wird von einem Zug überfahren - und wieder bleibt das ohne Folgen. Gerechtigkeit ist für befreite Sklaven in den Südstaaten kaum zu erlangen, von medizinischer oder sozialer Versorgung ganz zu schweigen.
Schließlich stirbt auch noch seine Ehefrau Seely - Cudjos Leben ist im Grunde eine lange Kette von persönlichen Tragödien.
Zora Neale Hurston gebührt das Verdienst, sich diesen Bericht angehört, und ihn als exemplarischen Teil der amerikanischen Geschichte aufgeschrieben zu haben. Allerdings wollte das damals niemand lesen. Sie bot das Buch mehreren Verlagen an, aber erst jetzt wurde der Text umfänglich neu lektoriert, mit einem inhaltlichen Rahmen sowie Anmerkungen versehen und auch einem internationalen Lese-Publikum zugänglich gemacht.
Fazit:
Gerade jetzt ist diese Geschichte des letzten amerikanischen Sklaven ein überaus nachdenklich machendes Zeugnis früherer gesellschaftlicher Verhältnisse in den USA. Die Schilderung von Cudjo Lewis zeigt nicht nur die Verhältnisse in seiner afrikanischen Heimat, sondern auch die Lebensumstände der Sklaven nach der Befreiung von ihren sichtbaren Ketten als Folge des Bürgerkriegs. Zeit seines Lebens sehnte sich Cudjo Lewis nach seiner Heimat in Afrika, das hat er Hurston immer wieder gesagt. Der Wunsch blieb unerfüllt. Ein sehr lesenswertes Buch, für das man sich viel Zeit zur Lektüre und zum Nachdenken danach nehmen sollte.
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